koalitionskrach: Zuwanderung braucht Zeit
Die Aufregung ist groß. Zum ersten Mal überhaupt ist eine rot-grüne Koalitionsrunde im offenen Dissens auseinander gegangen. Innenminister Otto Schily und Grünen-Parteichefin Claudia Roth zankten sogar vor laufenden Kameras weiter über das geplante Zuwanderungsgesetz. Das sagt einiges über das Klima in der Koalition. Wer sich aber schon auf ein Ende der Regierung freut, wie die allzeit bereite FDP, kann sich wieder beruhigen.
Kommentarvon LUKAS WALLRAFF
Die Zuwanderungspolitik ist wichtig, sie ist berechtigterweise umstritten und einen ordentlichen Koalitionskrach wert. Aber zu einem Koalitionsbruch wird es deshalb nicht kommen. Jedenfalls dann nicht, wenn der Kanzler endlich unruhig wird und den Beteiligten klar macht, um was es hier eigentlich geht. Es geht nicht um einen nachträglichen Familienstreit zwischen Schily und seinen früheren grünen Parteifreunden. Es geht um ein höchst kompliziertes und folgenreiches Gesetzespaket, das selbst beim besten politischen Willen nicht in null Komma nix durchzubringen wäre. Genau das aber versucht Schily mit seinem sturen Beharren auf seinem viel zu knappen Zeitplan.
Nicht nur aufgeregte Gegner von rechts und links haben gegen Schilys Gesetzentwurf protestiert, auch ganz nüchterne Experten und Juristen weisen darauf hin, dass er in vielen Punkten widersprüchlich ist und gründlich überarbeitet werden muss. Dafür braucht man Zeit – selbst in einem Wahljahr.
Die Grünen wiederum sollten sich von Schily nicht zu sehr provozieren lassen. Drohungen wie die von Fraktionschef Rezzo Schlauch, der gestern die Koalitionsfrage stellte, verstärken nur den Starrsinn des Innenministers. Dass die Grünen endlich deutlich machten, was ihnen nicht gefällt, war richtig. Aber eine 6-Prozent-Partei kann nicht den kompletten Forderungskatalog von Menschenrechtsorganisationen durchsetzen – so berechtigt deren Forderungen auch sind.
Wenn Rot und Grün realistisch sind, einigen sie sich auf einen angemessenen Terminplan und ein Gesetz, das die wichtigsten Forderungen der Wirtschaft erfüllt und die schlimmsten Verschlechterungen für Flüchtlinge aus Schilys Entwurf beseitigt. Es kann gut sein, dass die Union dann ein solches Gesetz blockiert. Aber auch das wäre keine Katastrophe. Deutschland wird nicht untergehen, wenn es in dieser Legislaturperiode kein Zuwanderungsgesetz mehr gibt. Und Rot-Grün kann nach der Wahl einen neuen Anlauf wagen.
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