: Hat die Tobin-Steuer Zukunft?
JA
Finanzinvestoren gefährden mit ihrer Spekulation Wohlstand und Sicherheit von Millionen Menschen. Mit der Tobin-Steuer könnte man ihnen Einhalt gebieten.
Das große Geld ist zu mächtig geworden. Das vielleicht wichtigste Ergebnis der Globalisierung besteht in einem Einflusszuwachs von transnationalen Unternehmen, weltweit operierenden Banken und Kapitalanlagefonds. Während der Asienkrise von 1997 zogen internationale Investoren innerhalb kürzester Zeit Milliarden Dollar aus den Ländern Südostasiens ab. Die Währungen Thailands, Indonesiens und anderer Länder verloren massiv an Wert. Viele Unternehmen konnten ihre Importe nicht mehr bezahlen und entließen tausende Beschäftigte. Armut und soziale Unruhen waren die Folge.
Nagen am Gewinn. Seitdem hat die Gefahr noch zugenommen. Die kaum fassbare Summe von 1,5 Billionen US-Dollar wird heute täglich rund um den Globus hin- und hergeschoben – größtenteils in rein spekulativer Absicht. Dagegen kann es ein Mittel geben – wenn die Regierungen nur wollen.
Einer Idee des US-Ökonomen James Tobin zufolge könnte man jedes Geschäft, bei dem Finanzinvestoren eine Währung in eine andere tauschen, mit einer geringen Abgabe belegen. Diese würde den potenziellen Gewinn der Spekulation teilweise oder ganz auffressen, so dass Letztere keinen Sinn mehr macht.
Erschütterungsfrei. Die Steuer soll das normale Funktionieren der Finanzmärkte freilich nicht behindern. Wenn etwa deutsche Banken mit US-Instituten Devisenhandel betreiben und durch die Ausnutzung minimaler Zins- oder Währungsdifferenzen Renditen von 0,05 Prozent erzielen, löst das keine internationale Finanzkrise aus. Die Steuer sollte also so niedrig liegen, dass solche Geschäfte möglich bleiben, gleichzeitig aber Spekulationsgewinne zum Teil abgeschöpft werden. Weil die Abgabe somit ein vergleichsweise kapitalfreundliches Regulierungsinstrument ist, müssen einzelne Staaten nicht befürchten, von den Investoren geschnitten zu werden. Der Deutsche Bundestag kann die Tobin-Steuer beschließen, ohne auf die EU, Japan oder die USA warten zu müssen.
Raus aus dem Teufelskreis. Ihre eigentliche Wirkung würde die Steuer erst entfalten, wenn es tatsächlich zu einer Krise mit massiven Währungsschwankungen kommt. So hat der Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Paul Bernd Spahn vorgeschlagen, dass Nationalbanken einen „Korridor“ festlegen, innerhalb dessen der Wert ihrer Währung schwanken darf. Bleibt alles im Rahmen, gilt nur der geringe Steuersatz. Setzt jedoch eine starke Auf- oder Abwertung ein, würde ein Steuersatz von 50 Prozent für diejenigen Transaktionen greifen, die ein Umtauschverhältnis jenseits des Korridors zugrunde legen. Die Steuer wirkte dann als „Unterbrecher“ des Teufelskreises, weil Spekulanten ihre Geschäfte unterlassen würden.
Gutes Geld bleibt. Aber verhindert nicht der drakonische Steuersatz, dass das jeweilige Land überhaupt noch importiertes Kapital bekommt? Wohl kaum. Ernsthafte, an einer langfristigen Rendite interessierte Investoren sehen ja, dass angesichts der minimalen Steuersätze ihre normalen Geschäfte nicht diskriminiert werden. Ganz im Gegenteil wird die Mehrheit der Investoren zu schätzen wissen, dass die Regierung ihre Anlage schützt, indem sie Spekulationskrisen verhindert. Abgeschreckt werden allerdings Geschäftemacher, die auf die schnelle Mark hoffen – und genau das ist ja der Sinn.
Vorrang für die Gesellschaft. Die Tobin-Steuer ist sicher kein Allheilmittel. Aber sie kann vielen Menschen etwas mehr Schutz bieten, damit nicht die nächste Währungskrise ihren kleinen Wohlstand wegfrisst. Die Parlamente und Regierungen der demokratischen Staaten müssen ihren Gestaltungswillen behaupten, denn in der Regel sind sie es, die die Interessen der Mehrheit vertreten. Die Finanzinvestoren dagegen verfolgen ein Partikularinteresse, das zurückstehen muss, wenn es zu großen Schaden anrichtet.
HANNES KOCH
NEIN
Auch eine wohlwollende Beschäftigung mit der Tobin-Steuer endet als Stochern im Nebel. So charmant die Idee ist – das Megaprojekt ist weder politisch noch pragmatisch ausgereift.
Besserer Kapitalismus. Die Tobin Tax ist eine Schönwettersteuer. In ruhigen Zeiten erschwert sie die unsinnige Spekulation mit Mikrogewinnspannen. So sorgt sie für eine vernünftigere Globalfinanz, und indem die Tobin Tax ihre Erlöse sozialisiert, schafft sie einen besseren Kapitalismus, ohne die Weltmärkte zu verändern. Das mag bürgerlichen Politikern sympathisch sein – aber der Mehrheit globalisierungskritischer Tobin-AktivistInnen?
Fröhliche Diktatoren. Noch ungeklärt ist, wer die Steuer erhebt – der Internationale Währungsfonds? Wer das Aufkommen von vielleicht 10 Milliarden Tobin-Dollar monatlich verwaltet – die Weltbank? Und wer die Summe, doppelt so viel wie alle derzeitige Entwicklungshilfe, zuteilt – die UNO? Und wieso sollten sich diktatorische, korrupte, Krieg führende, Hunger zulassende, Atomprogramme veranstaltende UN-Mitgliedsregierungen durch Kriterien selbst von der Mittelvergabe ausschließen? Oder muss eine neue Superbehörde her, ein Tobin-Fonds? Aber wer gibt in ihm den Ton an und die Kriterien vor?
Kaum Entschleunigung. Die Tobin Tax wird überschätzt – sie verteuert zwar kurzfristige Transaktionen, entschleunigt aber die Märkte kaum. Ein Steuersatz von 0,05 Prozent pro Transaktion, also 0,1 Prozent je Rein-raus-Geschäft, macht die Spekulation in ebendiesem Umfang unattraktiv. Aber reale volkswirtschaftliche Veränderungen oder die berüchtigten „Mutmaßungen der Marktteilnehmer“ drücken sich weiterhin im Wechselkurs aus – Tobin bremst deswegen kurzfristige Auf- und Abwärtsbewegungen nicht. Weil aber die Geldhändler ihre Spekulationswährungen zu unterschiedlichen Kursen gekauft haben, würde der Wechselkurs weiter wie bisher schwanken; sogar die Geschwindigkeit der Kursschwankungen bliebe wahrscheinlich gleich. Nur müsste der Einzelspekulant bis zur Realisierung seiner Kursgewinne dann länger warten als bisher: bis der Tobin-Steuersatz überschritten ist.
Jede Krise böse Krise? Gegen den eigentlichen Quell der Empörung, die Folgen internationaler Finanzkrisen, hilft die Tobin Tax nicht. Ein Investor, der zwei, zehn oder dreißig Prozent Gewinn oder Verlust erwartet, lässt sich nicht von 0,1 Prozent Transaktionssteuer erschrecken. Dass die Tobin-Steuer eine Notenbankpolitik unterstützt, ist deswegen eine Fehlannahme. Logisch ist, dass gegen Großspekulation und Kapitalflucht neue, nämlich „Schlechtwettersteuern“ hermüssen. Wobei ihre Befürworter vermutlich meinen, dass grundsätzlich keine Finanzkrise berechtigt und ergo jede zu verhindern ist – eine absurde Haltung.
Die Spahn-Strafe. Der Hit unter den Schlechtwettersteuern ist derzeit die Strafsteuer von Professor Spahn, die für einen Wechselkurs einen Korridor vorgibt und dessen Verlassen mit Spitzenbesteuerung belegt. Die Regierungen der Länder, die eine solche Regelung nötig hätten, fänden das Klasse. Denn für mangelnde Haushaltsdisziplin, die ja häufig Finanzkrisen auslöst, würde der ausländische Investor bestraft.
High risk, low fun. Abgesehen von der Frage, wer eigentlich solche Korridore und Steuersätze für welche Länder festlegen würde, wäre die Einführung einer Spahn-Steuer tatsächlich ein globaler Schlag gegen jedes internationale Investment. Denn die Risikoanalyse der Investoren würde die Spahn-Steuer in einen Zwang zu sehr hohen Renditen umrechnen und damit den größten Teil des Kapitalimports sofort beenden. Und die restlichen, die Hochrendite-Investitionen, gälten sicherlich unter Tobinisten als besonders ausbeuterisch und damit, vorsichtig ausgedrückt, als unerwünscht.
Ein Fehler reicht. Leider haben Kritiker von Tobin- und Spahn-Steuer ein viel leichteres Spiel als ihre Befürworter. Denn wenn die Kette der Ideen von ökonomischer Absicht über institutionelle Ausstattung bis hin zur politischen Verwendung auch nur eine Schwachstelle enthält, dann reißt sie dort. Und es hilft nichts, wenn alle anderen Kettenglieder intakt bleiben.
DIETMAR BARTZ
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