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Die Nacht gehört dem Hahn

Das europäische Flughafensystem Frankfurt-Hunsrück kommt. CDU und SPD für den Bau einer Transrapidstrecke zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz. Nachtflüge, Fracht und Billigcharter sollen über den Flughafen Hahn abgewickelt werden

vom Hahn KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Gerhard Bökel ist jetzt auch dafür. Der Vorsitzende der hessischen SPD und Herausforderer von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) spricht sich aktuell für den Bau einer Referenzstrecke für den Transrapid vom Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt zur ehemaligen US-Airbase Hahn im Hunsrück aus. Rund einhundert Kilometer Luftlinie zwischen den beiden Flughäfen sollen so schnell wie möglich „überbrückt“ werden, damit dann auch tatsächlich von einem neuen „europäischen Flughafensystem“ gesprochen werden könne. Das ist wichtig: für die Beantragung von Finanzhilfen für das gigantische Projekt auch in Brüssel durch die Bundesregierung. Die muss ohnehin mitziehen, denn ohne Geld auch aus dem Bundeshaushalt ist das „Zukunftsprojekt Hahn“ nicht zu finanzieren. Mit Hahn will sich die Rhein-Main-Flughafenbetreibergesellschaft Fraport AG eine Wachstumsoption über den Bau einer neuen Landebahn bei Frankfurt hinaus sichern.

Hahn war eine von den US-Amerikanern nach der Wende aufgegebene Airbase mit Raketenstützpunkt. Die Kosten für den notwendigen Ausbau zu einer mit dem Hauptflughafen verbundenen Dependance von Rhein-Main für Billigcharter und Frachtflüge bewegen sich nach Mutmaßungen von Fraport im zweistelligen Milliardenbereich. Einige Millionen davon wollen die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz gerne schultern.

Roland Koch ist für den konsequenten Ausbau von Hahn, weil das Land einer von drei Anteilseignern der Fraport ist und der Rhein-Main-Flughafen auch über das Jahr 2010 hinaus der „Wachstumsmotor“ (Koch) der Region bleiben soll. Denn nach der Realisierung der neuen Landebahn, für die gerade das Raumordnungsverfahren beantragt wurde, ist wohl keine weitere Kapazitätserweiterung im extrem dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet durchzusetzen.

Und Koch will mit Hahn ein Glaubwürdigkeitsproblem ad acta legen: Das von ihm versprochene Nachtflugverbot auf Rhein-Main kann durch die Einbeziehung von Hahn in die Flugpläne der Airlines vielleicht doch noch realisiert werden, wenn die Airlines mitspielen. Mit Hahn stünde ein am Rande der Rhein-Main-Region gelegener Ausweichflughafen für die Nachtzeit (23 Uhr bis 5 Uhr) zur Verfügung.

Auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hat ein Interesse am Ausbau von Hahn. Der Hunsrück ist eine extrem strukturschwache Region. Seit die Fraport AG das Konversionsprojekt Hahn übernommen und dort eine – mit 2.300 Quadratmeter im Vergleich mit Frankfurt winzige – An- und Abflughalle gebaut hat, arbeiten „auf dem Hahn“, wie der Hügel bei Leutzenhausen eigentlich genannt wird, schon doppelt so viele Menschen wie noch auf der US-Airbase: 1.600 nämlich. Und es sollen mehr werden. Weil der Transrapid – wenn er denn tatsächlich kommt – wohl erst in vielleicht zehn Jahren als schnelles Transportmittel zur Verfügung stehe, so Wirtschafts- und Verkehrsminister Artur Bauckhage (FDP), werde die Zubringerstraße von der Autobahnabfahrt Rheinböllen auf den Hahn (B 50) weiter ausgebaut: für rund eine halbe Milliarde Mark. Und für rund 80 Millionen Mark soll die bestehende Bahnverbindung zwischen Frankfurt über Bingen und dem Hunsrück „optimiert“ werden, wie sich Ministerpräsident Beck ausdrückte. Zurzeit noch fährt eine Bimmelbahn von Bingen in die Kreisstadt Simmern im Hunsrück, die an jeder Station hält; eine Tagesreise.

Auf dem Hahn stehen heute heruntergewirtschaftete hässliche Baracken, leerstehende Lagerhallen – und ein Tower noch aus der Zeit, als Görings Luftwaffe den Flugplatz nutzte. Dazwischen der kastenförmige „Busbahnhof“, der sich An- und Abflughalle nennt. Dumpingairlines wie Ryanair oder Aero Lloyd haben hier ihre Abfertigungsschalter eingerichtet. Für ein paar Mark geht es von Hahn aus nach London, Dublin oder Shannon. Die englischen Hooligans etwa, die vor dem Spiel ihrer Mannschaft in München gegen Deutschland das Bahnhofsviertel in Frankfurt heimsuchten, waren auf dem Hahn gelandet – und dann mit dem Busshuttle in die Kapitale des Euro gefahren. „Prolport“ heißt der Hahn denn auch (noch) sarkastisch in Frankfurt.

Viel sächsischer Zungenschlag an den Schaltern der Autovermieter, die hier – in der verkehrsmittelarmen Diaspora – gute Geschäfte machen. Überall auf dem Hahn und in den Hunsrückdörfern drum herum wird fleißig gebaut: Hotels und Tank- und Rastanlagen entstehen. Und Fraport erweitert das Terminal aktuell auf 6.500 Quadratmeter.

Die nahe gelegene Gemeinde Sohren bietet den auf dem Hahn ankommenden britischen Staatsbürgern gar einen Einblick in ihr „Nachtleben“ an: „Looking for something special?“, heißt es auf einer Werbetafel vor dem Terminal. Es locken dort zwei Pizzerien, ein Hotel und das Lokal „Felsenkeller“ mit regionaler Küche. Das europäische Flughafensystem Frankfurt-Hahn wächst.

Die Grünen in Hessen glauben, dass der zügige Ausbau von Hahn vor allem zum Umschlagplatz für Luftfracht die neue Landebahn bei Frankfurt überflüssig mache. CDU, FDP und SPD in Hessen und in Rheinland-Pfalz sind jedoch wild entschlossen, den Landebahnbau (Nordvariante) zu realisieren. Erst danach greife die „Option Hahn“, so Koch. Der will den Transrapid zum Hahn einmal einweihen – als Bundeskanzler.

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