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kommentarDas Gefühl der Unangreifbarkeit ist verloren

Wie nennt man das? Pearl Harbour II? Oder schlimmer? Das Pentagon brennt, ebenso das State Department. Der sicherste Ort in den USA ist an diesem Tag wohl die Sendezentrale von CNN. Denn wer für diesen Angriff verantwortlich ist, will, dass die ganze Welt diese Bilder sieht – immer und immer wieder: wie ein Flugzeug den zweiten Turm des World Trade Centers rammt, wie blutverschmierte Offiziere aus dem Washingtoner Verteidigungsministerium kriechen, wie die einzige Supermacht in ihrer ganzen Hilflosigkeit vorgeführt wird. Denn kein Sicherheitsplan und keine Elitetruppen können verhindern, dass Selbstmordkommandos Flugzeuge entführen und sich mit ihnen in die Machtzentren der USA stürzen. „This is the day America’s luck ran out“, sagt der CNN-Reporter vor der rauchenden Skyline Manhattans. Das sei der Tag, an dem Amerikas Glückssträhne endete – ein seltsamer Satz: Als hätte es irgendwann so kommen müssen.

Dies ist jedenfalls der Tag, an dem das Gefühl der Sicherheit, der Unangreifbarkeit verloren gegangen ist. Pearl Harbour war ein Angriff auf die amerikanischen Soldaten an der Peripherie des Landes – zu einem Zeitpunkt, da sich die USA auf einen Krieg bereits vorbereiteten. Es galt, einen Feind außerhalb des eigenen Territoriums zu besiegen, das eigene Land blieb unberührt. Dies aber ist der erste Angriff gegen die USA in den USA. Zivilisten sind die Opfer, es gibt keine offzielle Kriegserklärung, bislang keinen identifizierbaren Feind, gegen den man zurückschlagen kann, nur Spekulationen und einen Hauptverdächtigen: Ussama Bin Laden. Während die Nation faktisch unter Hausarrest steht, macht sich die Einsicht der Wehrlosigkeit langsam in den Köpfen der Menschen breit: Auf allen Flughäfen, wo hunderttausende Passagiere vor den Fernsehern festsitzen, weil keine Maschine mehr starten oder landen darf. In den chaotischen Staus in New York, Washington oder Chicago, wo Gebäude evakuiert werden und keiner weiß, wohin er laufen soll. Im Chaos an der mexikanisch-amerikanischen Grenze, die geschlossen wird. Es gibt, bis vier Stunden nach dem Angriff, nur eine kurze Erklärung des Präsidenten, der wie immer die falschen Worte findet: „We will hunt down those folks.“ – „Diese Burschen schnappen wir uns.“ – Währenddessen lässt New Yorks Bürgermeister Rudolph Giuliani Lower Manhattan evakuieren und die afghanischen Taliban, seit langem Gastgeber von Ussama Bin Laden, lassen in einer Presseerklärung ihr „Mitgefühl mit dem Leiden der amerikanischen Kinder“ verlauten. Was wohl heißen soll: Bitte keine Bombenangriffe auf Kabul, wir haben damit nichts zu tun. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die ersten US-Kampfflugzeuge zur „Strafaktion“ losgeschickt werden. Bloß gegen wen, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. ANDREA BÖHM

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