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really ground zero

Die meisten New Yorker wirken derzeit wie stillgestellt. Die Normalität hat derzeit immer noch hysterische Züge. Szenen aus dem Ausnahmezustand

ein mittdreißiger schreit autos an,die es gar nicht gibt, und winkt sie durchschlafen ist schwierig. auch aufwachenin panik ist mirschon gelungen

von KATHRIN RÖGGLA

1. life

jetzt also hab ich ein leben. ein wirkliches. in meinem wirklichen leben hab ich ihn schon von weitem laufen gesehen, ich dachte nur nicht, dass er ins haus hinein wolle. er raste direkt hinein in den aufzug, blieb auch erst da stehen neben mir, und hat mit seltsamer stimme, so, als müsste er es sich erst selbst erzählen, gesagt: „new york is definitely the wrong city to live in at the moment!“ jetzt schweigt er. eine weile stehen wir nebeneinander, bis ich ein vorsichtiges „you’re right!“ von mir gebe.

vorsichtig aus scheu vor dem, was er erlebt haben könnte, komme ich doch letztendlich selbst gerade von der straße, wo ich menschen schreien gesehen habe, heulen, gestikulieren. aber auch seltsam ruhige menschen, die einfach nur geradeaus blickten richtung world trade center „or the place formerly known as world trade center“, manche mit radios in der hand, die informiertheit suggerieren und so zu kommunikativen anziehungspunkten werden.

einen tower haben wir hier eben brennen und einstürzen sehen, etwa einen kilometer entfernt von unserem platz auf der ecke houston/wooster street mit ziemlich guter perspektive auf das, was man euphemistisch „geschehen“ nennen könnte und was doch weitaus zu groß zu sein scheint, um es irgendwie integrieren zu können in eine vorhandene erlebnisstruktur.

ja, da unten sehe ich mich stehen, wie ich für einen augenblick nicht mehr in meinem wirklichen leben vorhanden bin, denn ich sehe nicht nur mich, ich sehe auch einen film. der film heißt: „you can really see it melting.“ das verrät mir die junge frau aus dem 22nd floor mit tonloser stimme und meint damit den tower. sie findet es total krank, dass die leute fotos davon machen. „I can’t believe it, they are making pictures of a catastrophy!“ ich nicke und werde bald genau zu den leuten gehören, die wahllos losfotografieren – doch jedem seine strategie, damit klarzukommen, moralische urteile auf dieser ebene scheinen heute seltsam disfunktional. nun, es stehen tatsächlich eine menge fotografierender und filmender leute vor unseren silver towers – das sind die drei wohnblocks zwischen bleecker und houston street mit jeweils ungefähr 30 stockwerken, die zu verlassen die meisten um 9 uhr morgens nicht alleine aus neugier unternommen haben, sondern genauso wie die junge frau aus angst. da ist auch sofort die angst vor einem „krieg“, paranoide vorstellungen, die man hier im augenblick mit vielen menschen teilen kann, unter anderem den meisten politikern.

als der zweite tower explodiert, ein anderes wort scheint mir unpassend, ist es nicht das „laute“ bild, welches das gefühl auslöst, dass „das da“ wirklich stattfindet, sondern das relativ leise geräusch. ton- und bildschiene fallen hier entschieden auseinander in ihrer auswirkung auf die psyche, und wieder ist es die cineastische metapher, die man auch hier unten in den kleinen gesprächen zwischen den herumstehenden menschen ständig bemüht. gespräche, die man führt, um sich in seine wahrnehmung wieder einzubinden, sich einer realität zu versichern in kleinen kommunikativen gesten voller redundanzen und wiederholungen. trotzdem wird das geschehene dafür nicht nur weitaus zu groß sein, es fehlen bald auch die politischen und historischen kategorien, es in einem größeren zusammenhang zu beschreiben und zu situieren.

später laufe ich meinem wirklichen leben etwas hinterher durch greenwich village richtung hudson river. weg von dem rauch, hinaus ins vermeintliche „freie“, ans wasser. inzwischen kann man mich ruhig unter die perverts einreihen, denn auch ich habe angefangen zu fotografieren, was mir aber nicht gelingt. es bleibt eine seltsam leere geste, denn nichts wird darauf zu sehen sein, absolut nichts.

zumindest schon mal nicht dieser mittdreißiger, den ich sofort als vietnamveteran beschreiben würde, wäre er nicht zu jung dazu. er regelt auf der kreuzung seventh ave/greenwich ave den verkehr. einen geistervekehr, wie ich feststellen muss, denn er schreit autos an, die es nicht gibt, winkt sie durch. und wenn diese geste doch einmal auf ein real existierendes auto trifft, scheint er es gar nicht zu bemerken. es sind militärische und zugleich panische gesten, die ihn vollkommen besetzt halten.

später werde ich noch zwei dieser zivilen fanatiker kennen lernen, die sich in diesen ritus des verkehrsregelns retten. ein eigenartiges amerikanisches phänomen, aber vielleicht meinem fotografieren verwandt. ansonsten relativ wenig durchgeknallte auf der straße. einen kleinen mann sehe ich bei einer ampel stehen. er scheint sich was zu erklären, während es rot wird, während es grün wird, während es rot wird und blinkt. auch davon gibt es einige. doch die meisten sehen wie stillgestellt aus.

man findet sich in gruppen zusammen vor kleinen geschäften, vor die tv-geräte gestellt wurden oder radiolautsprecher. es ist eine merkwürdige gefasstheit, die die leute hier ausstrahlen. ja, der katastrophentourismus wird erst am zweiten tag einsetzen, es kommt einem auch nicht der gedanke, dahin zu gehen, zu „ground zero“, „really ground zero“, dieser mischung aus todeszone, „nuclear fall-out area“ und mondlandschaft, die im fernsehen nicht abbildbar zu sein scheint. sie wirkt wie überbelichtet, seltsam flächig, denn dieses bräunliche weiß schluckt alle kontraste, kassiert die räumliche tiefe, zementiert das bild in einer monochromie. menschen aus dieser gegend kommen hier völlig verstaubt an, und auch die transportfahrzeuge, die die west street entlangrasen, sind bedeckt mit diesem schlickigen staub – zementstaub, so bürgermeister giuliani – ungefährlich. doch wer weiß.

immer noch versuchen alle zu telefonieren. jeder zweite hält in einer mischung aus lethargie und hektik ein handy am ohr, nur selten kommt jemand durch, aber alle versuchen es immer wieder erneut.

2. update

am anfang versuchen sie zu klären, ob das ein „second pearl harbor day“ ist, darüber muss man sich erst einmal einig werden. ob es ein „really second pearl harbor day“ ist oder nicht. das ist wichtig, da wird noch mal nachgefragt. das ständige anstellen der vergleiche nimmt sich als weiterer panischer versuch einer einbindung des geschehens aus. erst am nächsten tag höre ich die beruhigende aussage: „this is not world war two. we have to be careful with those comparisons.“

aber am tag des geschehens einigt man sich letztlich irgendwie doch zwischen moderator und militärexperten auf pearl harbour. und „pearl harbor day two“ klingt ja auch schon wieder nach kino, also fasslich. ansonsten sagen die reporter noch: „can you tell me, what’s exactly happening there?“ oder: „what’s to do now?“, „what’s next?“ am häufigsten sagen sie aber: „thank’s for your update“ und „let me update you what’s happened during the last hours.“ – „update“, das ist das wichtigste wort des tages. es impliziert und erspart so die ohnehin ständig gestellte frage: „what’s next?“ eine rhetorik, die pragmatismus behauptet, ein vernünftiges handeln, aber deutlich hysterische züge trägt.

da fehlen dann nur noch die amateurvideos, die ab dem späten vormittag in den news auftauchen und immer neue ansichten von den flugzeugen bieten, wie sie die towers durchdringen. gezeigt werden auch augenzeugen, fire-workers, die sich durch dieses wahnsinnige pfeifen und diesen ascheregen fortbewegen, langsam gegenstände anheben oder herumirrende menschen ansprechen, und das programm ist perfekt.

„thank you for your update. what’s next?“, steht an der spitze einer vielzahl von rhetoriken und audiovisuellen gesten im amerikanischen fernsehen, die ständig ins hysterische oder ins chauvinistische, paranoide umzukippen drohen. da schalten sie beispielsweise auf so krude weise die vermeintlich Panik erzeugenden aussagen weg, sodass umso mehr panik entstehen muss. zum beispiel der arzt, der sagte, dass nicht auszuschließen sei, dass biologische kampfstoffe verwendet wurden und er deswegen prophylaktisch antibiotika eingenommen habe. er benennt kaum das antibiotikum – und schon ist er weg. und wir sitzen schweigsam vor unserem tv, bis hektik ausbricht. alles, was panik erzeugt, wird in diesem pragmatischen diskurs gleichzeitig beschworen und ausgeblendet, sodass sich die hysterie immer mehr hochschrauben kann. zur beruhigung kommen dann ehemalige polizeichefs, ehemalige senatoren und generäle, „former fbi“ zu sprechen, die ein irgendwie geartetes know-how suggerieren sollen, anscheinend ohne wirklich eine politische oder präzise aussage von sich geben zu können. nur einschätzungen außenstehender, so ahnt man nach einer weile.

oder es wird uns die bedeutung der lage folgendermaßen erklärt: einer spricht von einem „huge wake-up-call for this city!“ und ein anderer sagt: „this was an act of war.“ dieser andere ist george w. bush bei seiner mittwochvormittagsrede. am vortag hat er gesagt: „we will hunt them down!“ und „punish those responsible!“ ja, das ist er, unser bush, wie er von anfang an keine unterschiede zwischen staaten, die die terroristen verstecken, und den terroristen macht – na, wenn das nur gut geht, wo doch alles noch unklar zu sein scheint.

doch bush wäre nicht bush, wenn er nicht bush von allen seiten wäre. eben der starke mann der stunde. der auch genau weiß, wer der feind ist. „einer, der sich feige versteckt.“ und den „wir“ kriegen werden. „good“ and „evil“ werden aufgefahren und fahren gleich wieder ab als trautes paar im immer schon entschiedenen kampf. er sagte dienstags auch den merkwürdigen satz, dass „sie“ den amerikanischen stahl nicht wirklich schmelzen könnten. dieses „not really!“, das er hier trotzig als verbale waffe gegen die massive narzisstische kränkung amerikanischen nationalbewusstseins hochhält, wird später nur von dem adjektiv „true“ getoppt: „the true symbol of the financial power is gone.“

inzwischen dominieren auch draußen die militärgeräusche. an die wird man sich hier wohl gewöhnen müssen: denn flugzeugträger sind schon vor der stadt, die navy fährt auf, ständig hört man die hubschrauber über einem, und – das einzig vertraute geräusch im ohr einer berlinerin – sirenen gehen los, und kampfflugzeuge und dahindonnernde transporter bestimmen immer wieder die akustik.

den ewigen rauch am himmel hört man ja nicht, der ist nur zu riechen, das aber heftig, weswegen am mittwoch nachmittag doch eine odyssee nach oxygen-masks beginnt. im vierten laden klappt es. sie sind wahrscheinlich sinnlos, aber man setzt sie lieber auf, denn das gibt einem so ein gefühl der „security“.

ansonsten ist manhattan jetzt ein gebiet, das man in zonen unterteilt hat: „war zone“ sowieso die ganze stadt und zwar „on high alert“, aber eine „frozen zone“ das gebiet um meine wohnung. ab der vierzehnten straße abwärts, also richtung süden, dürfen keine privatautos fahren, der einzige verkehr ist und bleibt auch am donnerstag der emergency-verkehr, und die houston street, über die ich im süden auch nicht rauskomme, sieht aus wie ein einziges aufmarschgebiet der katastrophenhilfe.

alle geschäfte hier sollen geschlossen sein, was aber nicht stimmt, wie ich feststellen kann. ein wenig alltag kehrt ja ein, den darf man hier nicht zu erwähnen vergessen, die berühmte fähigkeit der new yorker zum alltag, die politiker wie giuliani jetzt beschwören. es hört sich zumindest brauchbar an. doch wie kann man normalität wieder herstellen? im supermarkt jedenfalls mischen sich die panikeinkäufer mit den normalen konsumenten, die sich nur ein sixpack oder eine geburtstagskarte holen. da zeigt es sich: allzu schnell wird man selbst zum panikeinkäufer. auch mich hat’s ein wenig erwischt. und nicht nur das. auch aufwachen in panik ist mir schon gelungen.

aber das liegt wohl wirklich an den geräuschen, die von draußen kommen. und auch in allen gebäuden ringsum brennen lichter. schlafen ist eben für die meisten schwierig. und am schwierigsten ist eigentlich der moment des aufwachens, wenn man eben aufwacht und es einem wieder einfällt.

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