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dieser fremde ist nicht von hier von RALF SOTSCHECK

In Irland ist in diesem Jahr alles anders. Der Nationalfeiertag St. Patrick’s Day, der sonst stets am Todestag des Heiligen im März begangen wird, musste wegen der Maul- und Klauenseuche auf Mai verschoben werden. Das Fest des Kuckucks im westirischen Kinvarra hingegen, das eigentlich im Mai stattfindet, wird wegen der Seuche nun in dieser Woche gefeiert. Und Irlands Karfreitag war vor drei Tagen, weit karfreitäglicher als derjenige vor Ostern. Der Freitag vergangenener Woche war wegen der Anschläge in den USA Volkstrauertag, und die Iren nahmen das ernster als andere Länder, einschließlich der USA. Kein Bus, keine Bahn, alles war dicht, selbst 24-Stunden-Läden, die nicht mal Weihnachten zumachen. New York wurde zur irischen Stadt erklärt, in der auch ein paar andere Nationalitäten leben, darunter US-Amerikaner.

Einen Tag später war wieder alles normal, die Pubs und die Gäste noch früher gefüllt, als wollten sie den verlorenen Tag gutmachen. Ich hatte mich mit Dirk in „O’Lochlainn’s“ verabredet, einer gemütlichen Kneipe in Ballyvaughan an der irischen Westküste. Er versetzte mich, weil er zuvor noch eine Lieferung Ökowein, mit dem er handelt, aus einem Nachbardorf abgeholt hatte, auf dem Nachhauseweg jedoch mit dem Lieferwagen und der kostbaren Ladung in einen Graben stürzte und erst nach Stunden unversehrt herausgezogen wurde.

Es wurde dennoch ein unterhaltsamer Abend, weil ich den Gesprächen der anderen Gäste zuhörte. Der Ire an sich ist ein geschwätziges Volk, doch manchmal geht das nach hinten los. Das freundliche „Howya“, das der alte George dem jungen Fremden zurief, interpretierte der als „How are you“, was es aber nur theoretisch bedeutet und keinesfalls eine detaillierte Krankengeschichte der letzten sechs Monate erfordert.

Am Akzent merkte George, dass der kranke, aber wieder genesene junge Mann, der sich als Paul vorgestellt hatte, kein Einheimischer war. Er fragte ihn: „Wo kommst du her?“ Paul antwortete: „Aus Bradford.“ George: „Ah, du bist Bradforder?“ Paul: „Nein, meine Eltern zogen nach Manchester, als ich sechs Monate alt war.“ George: „So, wo denn in Manchester? Ich habe dort drei Jahre gelebt.“ Paul wusste es nicht, weil seine Eltern nach Brighton zogen, als er ein Jahr alt war. Mit anderthalb veschleppten sie ihn nach London, ein halbes Jahr später ging es nach Leeds. Arbeiteten die Eltern etwa bei einem Wanderzirkus? George raufte sich die Haare. Wenn Paul, den er auf Anfang 20 schätzte, in Halbjahresschritten umgezogen ist, würde es eine lange und langweilige Nacht werden.

Um die Sache abzukürzen, fragte George ihn, wo er jetzt sei? Eine zu nachlässig formulierte Frage, wie sich herausstellte, denn Paul antwortete zwar wahrheitsgetreu, aber nicht dem Sinn der Frage entsprechend: „In O’Lochlainn’s in Ballyvaughan.“ George weinte ein wenig in sein Bier, sagte dann zu Paul: „Ach was, so ein Zufall, da bin ich auch gerade. Vielleicht laufen wir uns ja über den Weg.“ Und zu mir gewandt asterixte er: „Ich habe nichts gegen Fremde, aber dieser Fremde ist nicht von hier.“

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