: Akupunktur der Schulnerven
Teil III der Serie „Pauker, Provos, Pädagogen“: Gelotste Konflikte, Survival und die Schuld der Blauäugigen. Freie Träger und Bildungsinstitute geben den Schulen Impulse von außen, aber oft fehlt das Geld
Lehrer scheitern oft, wenn sie allein mit Konflikten zwischen den Schülern und rechtsradikalen Tendenzen zurechtkommen wollen. Das müssen sie nicht. Vereine und Bildungsinstitute stehen Schlange vor den Schultüren, um mit ihren Qualifikationen soziales Lernen und Konflikttraining in die Klassenzimmer zu tragen. Oft klopfen sie vergeblich. Der Trend sollte sich wenden, nachdem Schulsenator Böger vor einem halben Jahr anmahnte: „Die notwendige Öffnung der Schulen ist nur in enger Kooperation mit der Jugendhilfe erreichbar.“ Anregungen von außen also, die den Schulalltag befruchten sollen.
Im Sebnitzer Goethe-Gymnasium haben sich Acht- und Neuntklässler Projektschultage zum Thema Toleranz gewünscht. Zwei geschulte Teamer der sächsischen DGB-Jugend griffen in Gesprächen Vorurteile auf und entwickeln mit den Gymnasiasten ganz praktisch Gegenstrategien. In der Planspielaktion „Monolizien“ hat die Regierung eines fiktiven Landes die Schuldigen für alle Probleme ausgemacht: die Blauäugigen. Wahlkampf steht an, die Parteien positionieren sich – und die Schüler schlüpfen in die Rolle der Protagonisten. Lehrerin Christine Dittrich spricht von einhellig positiver Resonanz. Seit 1999 als Unesco-Schule anerkannt, arbeiten die Lehrer des Goethe-Gymnasiums so viel wie möglich mit Angeboten von externen Bildungsträgern und Vereinen. Die DGB-Jugend in Sachsen hatte 1999 Pionierarbeit geleistet und mit Jugendverbänden Projektschultage entwickelt unter dem Motto „Für Demokratie Courage zeigen“. Die Sebnitzer ist eine von rund 500 sächsische Schulen, die sich bisher an dem Projekt beteiligten. Inzwischen hat auch die DGB-Jugend Berlin-Brandenburg diese Programm übernommen – unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Wolfgang Thierse.
Gern werden kostenlose Angebote genutzt. Doch je weniger Freie Träger mit Förderung rechnen können, desto teurer wird es für die Schulen – oder die Eltern, an die anfallende Kosten weitergegeben werden. Trotzdem nehmen Eltern und Lehrer derartige Ausgaben in Kauf, wenn und weil sie diese Bereicherung nicht missen wollen. Ein Beispiel: Der Berliner Verein „Zugvogel“ begleitet seit 1996 Projekttage und Klassenfahrten von Schulen in Berlin und den neuen Bundesländern. Hauptinhalte sind Kooperation, Konflikttraining, soziale Kompetenz – verpackt in Überthemen wie Afrika, Survival oder Robinson Crusoe. Ehrenamtlich entwickeln die Mitarbeiter individuelle Programme für die jeweilige Klassensituation. Hier passiert Lernen an einem anderen Ort – in der Natur, im Wald, beim Hüttenbau oder der Kanufahrt. Die Schüler sind nach eigenen Schilderungen überrascht, wie schnell sie es lernen, Konflikte untereinander sachlich zu lösen. „Das ist die Motivation für uns, dass wir in der Klasse etwas bewegen können“, sagt Susanne Töpfer, die Koordinatorin von „Zugvogel“. Ziel des Vereins sei es, die Arbeit auch ohne öffentliche Förderung preisgünstig weiterzuführen.
Eine weitere Anregung „von außen“: Ortrud Hagedorn entwickelte 1993 mit Berliner Klassensprechern die Ausbildung zum Konfliktlotsen, ein Modell zur „Intervention, Deeskalation und Mediation unter Ebenbürtigen“. Auch hier geht es um das praktische Handeln: „Kinder und Jugendliche wollen nicht wie Kaninchen vor der Schlange sitzen – sie wollen tätig werden.“ Hagedorn will diese Kompetenz – sie nennt es Stärkung sozialintegrativer Kräfte – fördern. Heranwachsende sollen lernen, wie kleine Diplomaten für untereinander bestehende Konflikte Lösungen zu suchen. Strafe oder Ächtung seien dabei nicht das Ziel, es gehe um eine Form des Täter-Opfer-Ausgleichs.
Hagedorn kann im Landesinstitut für Schule und Medien (LISUM) gar nicht so viele Kurse anbieten, dass sie die Nachfrage abdecken würde. An 76 Berliner Schulen sind in dem laufenden Schuljahr qualifizierte Konfliktlotsen unterwegs.
Nach Aussage des stellvertretenden Schulamtsleiters von Berlin-Mitte, Thomas Wolff, ist die Zusammenarbeit mit Freien Trägern im großen Stil „möglich und erwünscht“. Allerdings scheitere sie oft aus finanziellen Gründen. HOLGER KLEMM
Infos: www.konfliktlotsen.de, www.zugvogel-org.de, www.berlin- brandenburg.dgb.de/jugend/pscht/index.html
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