Grausamkeit runterladen

Ausrufungszeichen, Ausrufungszeichen, Ausrufungszeichen: Konstanze Lauterbach inszeniert am Deutschen Theater „Die Bluthochzeit“ von Federico García Lorca als poetisch bewegten Bilderbogen

von CHRISTIANE KÜHL

1935 verliert ein Barceloneser Journalist die Fassung. Federico García Lorca war ihm begegnet, just als dieser euphorisiert die Proben zur Neuinszenierung seines 1933 entstandenen Dramas „Die Bluthochzeit“ verließ. Der Kritiker des „L’Instant“ muss es hinausschreien: „García Lorca ist wirklich hingerissen. So sehr, dass er uns angesteckt hat und wir diese Aufzeichnung nur mit drei Ausrufungszeichen beenden können!!!“

Auch Konstanze Lauterbach ist Lorca begegnet bzw. seinen Texten, und auch sie kann nicht anders als mit Ausrufungszeichen reagieren. Die rote Bühne: ein Ausrufungszeichen! Die Stimmen, das Flüstern und Gebrüll: ein Ausrufungszeichen! Und dann diese Körper, die sich gegen Wände werfen, mit Flüssigkeiten übergießen, auf dem Boden wälzen: Ausrufungszeichen, Ausrufungszeichen, Ausrufungszeichen. Dabei hat Lorca gar kein expressionistisches Aktionsdrama geschrieben, sondern eine lyrische Tragödie.

„Die Bluthochzeit“ erzählt wie alle Dramen des 1936 von Faschisten ermordeten Dichters vom ungelebten Leben. Von jungen spanischen Frauen, denen die starre katholische Gesellschaft durch Normen, die nurmehr Rituale der Grausamkeit sind, die Luft zum Atmen nimmt. Geschichten, die schlecht beginnen und in der Katastrophe enden. Wobei die Tragödie darin liegt, dass diese Kastastrophen als häusliche, als private verbucht werden und das Korsett der repressiven Gemeinschaft sich durch sie nicht einmal angekratzt sieht.

Mit 16 Jahren war die Braut, die im Stück wie alle bis auf einen keinen Namen trägt, mit Leonardo verlobt. Aus Standesdünkel kam keine Hochzeit zustande; er verließ sie und heiratete eine andere. Acht Jahre später, die das geächtete Mädchen abseits vom Dorf allein mit dem Vater verbrachte, geht sie, „wahnsinnig von Dulden und Harren“, eine Vernunftehe mit einem lieben Trottel ein. Doch zur Feier erscheint Leonardo. Die Leidenschaft siegt; gemeinsam fliehen sie in den nächtlichen Wald. Der rechtmäßige Bräutigam jagt ihnen nach, und die Männer töten einander. Für die Braut, die Frau Leonardos und die Mutter des Bräutigams gibt es kein Entkommen: Sie werden ihr Leben fortan schwarz gekleidet hinter „vernagelten Fenstern“ verbringen.

Konstanze Lauterbach, neue Hausregisseurin am Deutschen Theater, versucht von Anfang an eine poetisch-rauschhafte Inszenierung. Schon durchs erste Bild hüpft ein seilspringendes Mädchen, tanzen vier schöne Frauen in schönster Pina-Bausch-Manier auf Stühlen sitzend, auf dem Boden ist Wasser, in die Luft wird Kalk geblasen.

Mit dem Auftritt der Sprechenden wird das merkwürdig kontakariert: Die Mutter der Braut, Margit Bendokat, spricht ihren Text, als hätte sie ihn in verschiedenen Versionen aus dem Netz runtergeladen. Monoton, dann hysterisch, plötzlich geradezu comichaft. Als würde sich jemand arg Mühe geben, nicht psychologisch zu spielen, nur dass man nicht weiß, weshalb. Die anderen Figuren, vor allem Anika Mauer als Braut, Robert Gallinowski als Leonardo und Isabel Schosnig als seine Frau, scheinen von Anfang an zu zeichenhafter Expressivität verurteilt, die durch das permanente Auf-dem-Boden-Rollen jedoch als eher als Hysterie rüberkommt. Die Entwicklung von Lorcas Drama, der den – klar autodestruktiven – Ausbruch der Liebenden als Reaktion auf ein zu lange in feste Formen gepresstes Sein zeigt, ist so verloren.

Die Flucht selbst zeigt Lauterbach, die mit dieser Inszenierung die erste Spielzeit des Deutschen Theaters unter der Intendanz von Bernd Wilms eröffnete, als bewegten Bilderbogen. Die Liebenden schwingen auf einer Riesenschaukel, der Mond dreht sich als Sägeblatt über die Bühne. Das funktioniert gut in dem von Lorca mystisch gezeichneten Wald. Vielleicht ein wenig zu gut – man ist ja heute doch glücklicher, neben drei Ausrufungszeichen auch mal ein Fragezeichen zu sehen.

Nächste Aufführungen am 22., 25., 28. 9. um 19.30 Uhr im Deutschen Theater, Schumannstr. 13