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Wachgeküsst: Khao Lak und Khao Sok

Traveller haben die neuen „Naturparadiese“ Thailands entdeckt. James Bond und der Film „The Beach“ waren die ersten Werbeträger

Fieberhaft versuchen Einheimische ihre Eigentumsrechtezu sichernEine neue Generation von Herbergenmit fantasievollen Details

von VOLKER KLINKMÜLLER

Das dichte Blätterdach des Urwalds schützt vor gleißender Sonne, die luftige Höhe des Astwerks ersetzt die Klimaanlage. Kein lästiges Brummen kann das natürliche Konzert der Grillen und Frösche übertönen. Auch abends geht es völlig ohne Strom, sind Öllampen, Kerzenschein und herumschwirrende Glühwürmchen die einzige Beleuchtung. Ein glasklarer Fluss rauscht unter den Holzhäusern hinweg. Der bietet sich für passionierte Trekkingmuffel als bequemste Alternative an, die faszinierende Flora und Fauna des Khao-Sok-Nationalparks zu erkunden: In Kanus oder auf Bambusflößen geht es durch das Naturparadies, manchmal auch mit aufgeblasenen, schwarzen Lkw-Schläuchen die Strömung hinunter. „Tubing“ nennt sich dieser Spaß, und sogar der tropisch-bunten Vogelwelt scheint die feuchte Gaudi zu gefallen – werden die Eindringlinge doch stets mit fröhlichem Gezwitscher begrüßt.

Erst seit kurzem hat dieses ursprüngliche Fleckchen Erde Eingang in die Reiseführer und Veranstalterkataloge gefunden – als Hinterland mit Traumstränden, das nun unter der Bezeichnung „Khao Lak“ für den Tourismus aufbereitet wird. Auf der südthailändischen Ferieninsel Phuket ist es vielen Urlaubern zu eng geworden. Wer das Weite sucht, findet es in der nördlich gelegenen Provinz Phang Nga: Mehr als 30 Kilometer Strände – durch malerische Felsgruppen voneinander abgegrenzt. Üppige Palmenwälder und Bananenhaine, Kasuarinas und mächtige Laubbäume, aber auch Lagunen und Baggerseen einstiger Zinnminen prägen die Küste.

„Beim Baden die eigenen Zehen im Wasser zu sehen, ist hier nicht selbstverständlich“, weiß Michael Herz, der eine Tauchschule betreibt. Dennoch kann der Tauchschuleninhaber seiner Kundschaft unter Wasser einiges zeigen: Nicht weit vor der Küste liegt in nur 19 Metern Tiefe ein gesunkener Schwimmbagger, den die Zinnschürfer einst zurückgelassen haben. Mit seinen riesigen Schaufelrädern und einem Gewirr aus Zahnrädern präsentiert sich das auf der Seite liegende Ungetüm als wichtiges Rückzugsgebiet der Fische.

Dieses versunkene Ungetüm erinnert an die jüngste Geschichte dieser Küstenregion, die eine exzessive Zinnausbeutung über sich ergehen lassen musste – bis die Weltpreise für das Metall in den Achtzigerjahren dramatisch eingebrochen und die hiesigen Vorkommen weitgehend ausgebeutet waren. Von der einstigen Unterwasserwelt sind nur noch kahle Granitfelsen mit Sand zurückgeblieben – und jede Menge Schwebstoffe, die Ursache des trüben Wassers.

Wohltuend mischt sich die salzige Seeluft mit den würzigen Düften des Regenwalds, der als Khao-Lak/Lam-Ru-Nationalpark mit seinen tiefgrünen Bergen gleich hinter den langen Stränden ansteigt. Es sind vor allem Deutsche, die bei der Entdeckung und Erschließung dieser Region mitwirken. Im Garten der Hotelanlage „Khao Lak Bungalows“, die nun von der Witwe Noi geführt wird, erinnert ein kleines, pagodenähnliches Monument an Gerd Serucnik, der als Pionier von Khao Lak gilt und 1998 bei einem Taxiunfall in Bangkok ums Leben kam. Mit seinem Partner Hans Wolfgang Sackenheim, der inzwischen wieder in Deutschland lebt, hatte er Mitte der Achtzigerjahre die erste Bungalowanlage in die Wildnis von Khao Lak gesetzt. Bei einer historischen Spurensuche finden sich sogar noch ein halbes Dutzend unbenutzter Urlauberhütten der allerersten Generation.

Die Zeiten haben sich geändert: Der 1999 vollendete Ausbau der Nationalstraße 4 von einer Schotterpiste zur Asphaltstraße, durch die Khao Lak vom internationalen Flughafen auf Phuket nun schon mit dem Auto in rund einer Stunde erreichbar geworden ist, hat die Goldgräberstimmung gewaltig angeheizt! Die Bodenpreise explodieren. Fieberhaft holen die Einheimischen ihre Landkarten heraus, um Eigentumsrechte zu sichern oder mit viel Streit neu abzustecken. Bis zu 200.000 Mark pro Rai (1.600 Quadratmeter) können heute beim Monopoly von Khao Lak für Strandgrundstücke erzielt werden: Rund 40 Ressorts mit fast 1.300 Zimmern sind seit 1997 aus dem Sand gesprießt – davon allein die Hälfte innerhalb der letzten beiden Jahre! Bislang besitzen nur elf Hotels internationalen Standard, doch bis zum Jahresende sollen es bereits 14 werden. Lärmende Nachtbars und Massagesalons wie auf Phuket sollen verbannt bleiben. Darauf einigte sich die Interessenvertretung der örtlichen Hoteliers.

Einer der Prinzen, die das Dornröschen Khao Lak aus dem Schlaf erweckt haben, ist Richard Doring. Wie kein anderer kennt er diesen Küstenabschnitt aus jener Zeit, als sich die wenigen Traveller hier noch mit Handschlag begrüßten. Als Reisebuchautor des orange-gelben Thailandhandbuchs aus dem Berliner Stefan-Loose-Verlag – unter Rucksacktouristen gern als „Südostasienbibel“ bezeichnet – hat der 52-jährige Deutsche erheblich zur touristischen Entwicklung beigetragen. Hatte er dieser Region in der Reiseführerausgabe von 1990 gerade einmal zwei Seiten gewidmet, so sind es 1995 schon vier gewesen. In der letzten Ausgabe wurde Khao Lak sogar mit elf Seiten als „Geheimtipp“ propagiert.

Mitverantwortlich für den Boom fühlt er sich trotzdem nicht. „Wir haben diesen Ort seit 1986 zwölf Jahre lang auf Sparflamme abgehandelt, – aber als wir dann die Zukunft gesehen haben, mussten wir realistisch schreiben“, erklärt Doring, der seine Vorliebe für Khao Lak schon dadurch dokumentiert, dass er sich dort jetzt mit seiner Frau Ursula in zwei selbst entworfenen Bungalows niedergelassen hat. Neuerdings geht er sogar auf Anzeigentour, um eine opulente Homepage im Internet, den ersten kommerziellen Khao-Lak-Plan und seinen Kampf um die prinzipielle Erhaltung des Travellertums zu finanzieren.

Das besondere Urlaubs- und Lebensgefühl von Khao Lak zeigt sich nicht zuletzt in der Architektur der neuen Hotelanlagen, die überwiegend im Chaletstil mit höchstens zwei Geschossen und landestypischen Materialien errichtet worden sind. Eine neue Generation von zumeist großzügig angelegten Urlauberherbergen, in denen sich eine Fülle fantasievoller Details und eine erstaunliche Nähe zur Natur finden. Mal führen Zementplatten, in die reliefartig eine Vielzahl von Laubblattornamenten gedrückt wurden, durch eine Bungalowanlage, mal dienen jahrzehntealte Eisenbahnschwellen als Weg. In einem Ressort sind es gezähmte, frei herumfliegende Nashornvögel, die das Auge und Gemüt erfreuen, in einer anderen thronen die Bungalows auf Holzpfählen über dem Boden, als seien sie aus der üppigen tropischen Vegetation der Gartenanlage herausgewachsen.

Aber auch an authentischen Wunderwerken der Natur herrscht hier kein Mangel. 1991 erst ist ein 125 Quadratkilometer großes Stück Hinterland mit 60 bis 140 Millionen Jahre alten Kalksteinbergen zum Khao-Lak/Lam-Ru-Nationalpark erklärt worden. Dorthin führt zum Beispiel der deutsche Khao-Lak-Aussteiger Olaf Schomber, der sich auf Touren zu Wasserfällen, Höhlenbesuche oder Elefantenreiten spezialisiert hat. Neuerdings jedoch wächst ihm die Konkurrenz schneller heran als die Vegetation des Dschungels, zeugen immer mehr Landrover-Oldtimer aus Phuket von der zunehmenden touristischen Nutzung des Schutzgebiets. Wachsender Beliebtheit erfreut sich auch der benachbarte Khao-Sok-Nationalpark, der mit seinen dichten Wäldern, glasklaren Flüssen und sprudelnden Wasserfällen sechsmal größer ist und noch von frei lebenden Elefanten, Tigern und Bären durchstreift wird. Dort erblüht zum Beispiel auch die „Rafflesia“: Sie hat weder eigene Wurzeln noch Blätter, besteht nur aus dünnen Fasern, die als Parasiten im Geflecht von Schlingpflanzen wuchern. Einmal im Jahr bildet die „Bua Poot“ – wie sie Einheimische nennen – eigene Knospen. Diese können bis zur Größe von Fußbällen anschwellen, um sich alsbald zu den mächtigsten Blüten der Welt zu entfalten: Tellerförmig, bis zu einem Meter groß und wahrhaft majestätisch erblühen dann diese rot-weißen Wunderblumen. Fast vier Wochen dauert das Schauspiel – bis es in einer dunklen, modrigen Masse endet.

Hoffentlich ist das kein Omen für die Zukunft. Übersteht die Natur den Ansturm der Touristen? Schließlich konzentrieren sich immer mehr Großveranstalter auf das neu entdeckte Urlaubsziel. Als „idealer Ort für aktive Erholung oder totale Entspannung in paradiesischer Umgebung“ wird Khao Lak bereits bei deutschen Großveranstaltern angepriesen. Nun beginnen bereits die ersten einheimischen Hotelbesitzer, die unter hohem Finanzdruck stehen und durch teilweise unrentable Blockbuchungen am finanziellen Tropf hängen, über die Exklusiv- und Knebelverträge der Veranstalter zu lamentieren. Zudem hat das Konglomerat aus Veranstaltern und Hoteliers zu gravierenden Strukturveränderungen geführt. So möchten die Vertragshotels ihr – in diesem Marktsegment – sowieso schon nicht spendierfreudiges Publikum an sich binden und bestimmen, wer am Strand Geschäfte macht. Und das sollen nicht mehr freischaffende Sonnenschirm- und Liegestuhlvermieter sein, auch nicht die kleinen, alteingesessenen Strandbars und gemütlichen Fischrestaurants, die bis auf das „Tukta“ zur Aufgabe oder Umsiedlung an die Hauptstraße gezwungen worden sind. Sogar die Taxifahrer klagen, dass sie zuweilen massiv behindert werden, sich an vielen Orten nicht versammeln und auf Kundschaft warten dürfen.

Und auch die Refugien der bunten Travellergemeinde sind in Gefahr. Neuigkeiten von dieser Front lassen sich besonders gut im Khao-Lak-Restaurant erfahren, dem beliebtesten Treffpunkt der deutschen Aussteigergemeinde. „Die Meisten hier sind aus Phuket geflohen“, sagt Uli Aeschelmann, der sich hier mit seiner thailändischen Ehefrau Duriya bereits im Oktober 1997 niederließ. „Phuket ist kein Thailand mehr – nur noch Trubel und Geschäft. Hier dagegen sind die Einheimischen noch freundlich, Prostitution und Kriminalität die absolute Ausnahme.“

Wie lange noch? Vor allem die Bucht von Phang Nga und die benachbarte Provinz Krabi ist bereits seit Jahrzehnten Tummelplatz von internationalen Filmemachern: eine atemberaubende Meereslandschaft aus Inseln, Sandstränden, Lagunen, Mangrovensümpfen, Höhlen und steil aus dem Wasser ragenden überwucherten Felszinnen. Zahlreiche Werbespots, Serienfilme, berühmte Vietnamstreifen und Seeräuberepen oder auch Leonardo Di Caprios „The Beach“ sind hier entstanden. Noch heute lebt der Tourismus dort von der Legende des James-Bond-Streifens „Der Mann mit dem goldenen Colt“, der hier vor 25 Jahren mit Roger Moore gedreht wurde. Seitdem ist der berühmte Nadelfelsen „Koh Tapu“ ständig so von Ausflugsbooten umlagert, dass der Tourismus dorthin eingeschränkt werden musste.

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