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Im Exil vor den Taliban

Buddha-Statuen und andere afghanische Kulturschätze überleben in einem Dorf bei Basel. Mittlerweile hat der Museumsgründer Paul Bucherer dort auch ein Kulturzentrum für Flüchtlinge aus der Krisenregion eingerichtet

„Die kleinen Reiter hier werden seit 2.000 Jahren unverändert in dieser Art hergestellt. Seit Alexander dem Großen! Das Faszinierende an Afghanistan ist die unheimliche Traditionstreue“, schwärmt Paul Bucherer vor einer Vitrine. „Diese Verschmelzung von hellenistischer und orientalischer Kultur!“ Der Museumsdirektor liebt seine Exponate, zu jedem weiß er eine Geschichte. Trotzdem würde er den Job am liebsten so schnell wie möglich aufgeben: „Ich bin nur Treuhänder. Die Objekte sollen nach Afghanistan zurück, sobald dort wieder Frieden herrscht.“ Doch das kann nach dem 11. September noch lange dauern.

Das Afghanistan-Museum in Bubendorf, einem 6.000-Einwohner-Ort südlich von Basel, ist etwas Besonderes. Erstmals haben sich Kriegsparteien geeinigt, Kulturschätze ihres Landes für die Dauer des Konflikts ins Exil zu schicken. „Die Idee kam von den Afghanen selbst“, berichtet Paul Bucherer. „Viele fragen sich, was sie einmal nach über zwanzig Jahren Krieg ihren Kindern hinterlassen wollen, wenn alle Kunstschätze zerstört oder ins Ausland verkauft wurden.“

Bucherer, ein Gewerbeschullehrer aus Liestal, ist seit 1971 fast jedes Jahr nach Afghanistan gereist, erst als Student, später als Architekt und Mitarbeiter des Roten Kreuzes. Als Leiter des Schweizer Afghanistan-Instituts hat er gute Beziehungen zu allen Bürgerkriegsparteien und vermittelt bei Friedensverhandlungen. Daher wurde ihm die Aufgabe anvertraut, ein sicheres Depot zu schaffen für archäologische Funde und Buddha-Statuen, Teppiche und Münzen.

Mit Geld von Sponsoren und der ehrenamtlichen Arbeit afghanischer Flüchtlinge eröffnete Bucherer letzten Herbst in den Gebäuden einer ehemaligen Baufirma das Afghanistan-Museum. Von der Unesco kamen wütende Proteste: Die Kulturorganisation der Vereinten Nationen will, dass Kulturschätze grundsätzlich im Ursprungsland bleiben, und kämpft zum Beispiel dafür, dass die Europäer aus ihren Museen zurückgeben, was sie in aller Welt zusammengeraubt haben. Als aber im März die Taliban anfingen, alle Abbilder lebender Wesen zu vernichten, und die uralten Buddha-Statuen von Bamian in einen Haufen Schutt und Staub verwandelten, kam die Unesco zu der Einsicht, dass in Afghanistan „gerettet werden muss, was noch zu retten ist“, und übernahm die Schirmherrschaft für Bucherers „weltweit einzigartiges Projekt“.

Mit dem amtlichen Segen der UNO sind bisher rund 2.000 Objekte zusammengekommen. Vertreter der Nordallianz brachten Bronzestatuen nach Bubendorf. Moderate Taliban schickten alte Fotografien und Musikinstrumente, die sie sonst hätten zerstören müssen. Aus dem verwüsteten Nationalmuseum in Kabul kam auf verschlungenen Wegen zum Beispiel der Spazierstock von Abdurrahman Khan. Um 1880 hatte der Gründer des modernen afghanischen Staats Gesetze genehmigt, indem er mit diesem Stock auf den Boden schlug. Zwei von schlechtem Gewissen geplagte Besucher aus Deutschland übergaben Bucherer einen tausendjährigen Grabstein, den sie vor Jahren in Afghanistan gestohlen hatten.

Auch Schwarzweißfotos der deutschen Hindukusch-Expedition im Jahr 1935 sind in Bucherers Museum gelandet: „Die Afghanen sind ein indoeuropäisches Volk, zum Beispiel ist ein Großteil der Grimm’schen Märchen auch in Afghanistan zu finden. Die Deutschen haben deshalb dort nach den Ur-Ariern gesucht und damals tausende Köpfe vermessen. Immerhin war es aber die erste größere ethnologische Untersuchung dort. Wir haben im Museum von dieser Expedition das ganze Material, das den Zweiten Weltkrieg überlebt hat: 300 Fotos, ein Buch und einige Zeitungsartikel.“

„Es geht uns nicht darum, nur wertvolle Objekte zu sammeln“, sagt Bucherer. „Wir bewahren auch alltägliche Gegenstände auf: Kochgeschirr, Holzkohlebecken, Betten, Kleider. Die Kinder von Flüchtlingen können hier sehen, wie es in ihrer Heimat einmal ausgesehen hat.“ Da das Museum auch ein lebendiges Kulturzentrum für Exilafghanen ist, hat Bucherer nicht nur die Lastwagenhalle der ehemaligen Baufirma zum Konzertsaal umgestaltet, sondern auch eine Küche eingerichtet: „Essen ist ein wichtiger Bestandteil der afghanischen Kultur. In Afghanistan geraten heute aber viele Gerichte in Vergessenheit, weil die Mittel fehlen oder zum Beispiel bestimmte Gemüsesorten nicht mehr zur Verfügung stehen.“

Spektakulärer als die Museumsküche ist Bucherers nächstes Vorhaben: die Buddha-Statuen von Bamian wieder aufbauen. 1998 hatte Bucherer in den mit Fresken verzierten Nischen der Riesenstatuen Wasserschäden beseitigt. Jetzt kündigt er an: „Wir bauen in Bubendorf ein sechs Meter großes Modell und sammeln Erfahrungen. Dann suchen wir Helfer und Mittel und bauen die Buddhas an Ort und Stelle wieder auf. Das kann kein Ersatz für das Original sein, aber die Anlage von Bamian ist so einmalig – die müssen wir einfach wieder aufbauen.“ MARTIN EBNER

Afghanistan-Museum, Hauptstraße 34, CH-4416 Bubendorf, Tel.: 00 41-61-9 33 98 77

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