Wie schön sich Alltag liest

Redliche Versuche, in die nächste Dimension aufzusteigen: Dieter E. Zimmer stellte in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung in Moabit sein Buch „Nabokovs Berlin“ vor

Wer den Schriftsteller und Schmetterlingsexperten Vladimir Nabokov und dessen Werk kennt und bewundert, dem ist auch der Name Dieter E. Zimmer ein Begriff. Zimmer, einst Feuilletonchef der Zeit und Verfasser von Sachbüchern zu Themen der Biologie, Psychologie und Linguistik, hat Nabokov übersetzt, hat Bücher über ihn veröffentlicht (zuletzt „A guide to Nabokov’s Butterflies and Moth“) und ist Herausgeber von Nabokovs Gesammelten Werken, diesen trotz ihres braunschwarzen Einbandes schönen und anziehenden Büchern. Was Nabokov anbetrifft, ist Zimmer ein im positiven Sinn Besessener, einer, der auch die letzten Winkel von Nabokovs Leben ausleuchtet und dieses besser kennen dürfte als Nabokov selbst zu Lebzeiten. (Der wusste schon, warum so viele seiner Helden sich in Spiegeln, Labyrinthen und Doppelgängern verlieren sollten.)

Am Mittwochabend stellte Zimmer in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung seine neueste Arbeit vor: „Nabokovs Berlin“, das er anhand von alten Zeitungsannoncen, Eintrittskarten, Zeitschriften und vor allem Fotos dokumentiert. Zusammen mit dem Verlagsleiter des Nicolai Verlags, Dr. Hans von Trotha, gibt Zimmer an diesem Abend den gut hundert Interessierten einen kleinen Überblick über die Berliner Jahre Nabokovs von 1922 bis 1937: die russische Gemeinde in Berlin, die in den 20ern fast 400.000 Menschen betrug; das literarische Leben der Russen; die schlechten ökonomischen Verhältnisse, unter denen Nabokov zu leiden hatte; schließlich die Ermordung des von Nabokov über alles geliebten Vaters.

Immer wieder hebt Zimmer das Erinnerungsvermögen Nabokovs hervor, erzählt, wie dieser sich auch zwanzig Jahre später noch genau an den Namen eines Zahnarztes und dessen Praxis erinnern kann; kommt dann aber auch auf die Schwierigkeiten der eigenen Arbeit zu sprechen, auf die Schwierigkeiten dieser Buchproduktion dritter Ordnung. Nabokovs Werk, Nabokovs Leben, Zimmers Suche. Das Foto eines Hundefängers am Hundekehlsee habe er schnell gefunden, berichtet Zimmer, die damals allgegenwärtigen Fleischträger wiederum, die Zimmer selbst in seiner Jugend in Steglitz vom Balkon aus täglich beobachtete, seien nur schwer aufzutreiben gewesen.

Zimmer zitiert aus Nabokovs Roman „Die Gabe“ und zeigt das Foto eines dort auf der ersten Seite beschriebenen Möbelwagens, „auf dessen Seite der Namen der Speditionsfirma geschrieben stand, in meterhohen blauen Buchstaben, von denen jeder einzelne (einschließlich des quadratischen Punkts) seitlich mit schwarzer Farbe schattiert war: ein unredlicher Versuch, in die nächste Dimension aufzusteigen“. Genau so schwer wie dieses Foto war ein anderes aufzuspüren, ein Foto mit Nabokovs Wohnhaus in der Nestorstraße 22, das nur von 1930 bis 1943 existierte. Als Zimmer Nabokovs Beschreibung dieses Hauses vorliest, überlagern sich plötzlich Schrift und Bild und leuchten gemeinsam erst hell, dann dunkler, verliert dabei doch Nabokovs Prosa ein wenig von ihrem Zauber.

Ein Eindruck, der schnell verschwindet, als von Trotha am Ende Nabokovs Kurzgeschichte „Berlin, ein Stadtführer“ liest; eine Geschichte, die man „genau lesen muss“ (Zimmer) und in der von Berliner Straßenbahnen, Röhren, Schildkröten und „anderen hochwichtigen Dingen“ die Rede ist. Wie nebenbei findet sich dort eine Zeile wie diese: „Ich meine, daß eben hierin der Sinn schöpferischer Literatur besteht: alltägliche Dinge so zu schildern, wie sie sich in den wohlmeinenden Spiegeln künftiger Zeiten darbieten werden.“ Der Applaus am Ende gilt schließlich vor allem Vladimir Nabokov und der Schönheit seiner Sätze. GERRIT BARTELS