: Großer Weltraumbahnhof
■ Seit 40 Jahren tüfteln Bremer fürs All: Am Anfang produzierten die Weser-Astronauten nur Weltraumgurken, gestern ließen sie sich feiern
Früher schipperten sie auf Hansekoggen in die weite Welt, heute düsen sie mit Gleitern und Raumlabors ins Weltall: die Bremer. Ein abenteuerlustiges Eroberervölkchen eben, dem kein Weg zu weit ist.
Deshalb gab es auch gestern einen ganz großen Weltraumbahnhof, als Astrium 40 Jahre Raumfahrt in Bremen feierte. Über tausend Gäste waren gekommen, um dem „industriellen Zentrum der bemannten Raumfahrt in Europa“ zu huldigen. Slogan des Show-Events mit Promis, Band und Häppchen: „Mission possible“.
Als Erno – kurz für Entwicklungsring Nord – 1961 als ein Zusammenschluss von Focke-Wulf, der Hamburger Flugzeugbau und der Weser-Flugzeugbau gegründet wurde, gab es in Europa noch so gut wie keine Raumfahrtindustrie: heute hat Astrium in Bremen, das mal MBB Erno, mal Deutsche Aerospace hieß, 1.200 Mitarbeiter. Damit arbeitet jeder fünfte deutsche Weltraumtüftler in Bremen.
Nicht nur der Jobs wegen waren alle voll des Lobes: Hans Hoffmann, Bremer Raumfahrtpionier der ersten Stunde, erwiderte das Lob der adretten Jubiläums-Moderatorin, er habe sich in den letzten 40 Jahren noch „gut gehalten“, mit: „Das Kompliment gebe ich Ihnen gerne zurück.“ Der alte Weltraumkritiker Henning Scherf gab zu, dass er „lange gedacht hatte, die Raumfahrt frisst alles Geld für die andere Forschung auf“. Heute arbeiteten auf der Weltraumstation ISS Russen und Amerikaner zusammen (der Rechner im Servicemodul kommt natürlich aus Bremen). Und: „Das sind ehemalige Feinde: so stelle ich mir die Weltgesellschaft vor.“ Nicht zuletzt gestand Armand Carlier, der Pariser Chef von Astrium, mit hinreißendem Akzent: „Isch bin oin Brömönöer“.
Dabei hatten die Weser-Astronauten zunächst nur Weltraumgurken produziert: Aller Anfang ist schwer. Die Russen waren schon im All spazieren gegangen, da stürzte „Eldo“, eine der ersten europäischen Weltraumraketen, ständig ab – Bremer Technik mittendrin.
Erfolg gab es erst in den Siebzigern: Die Tüftler schickten 1970 in „Intelsat III“ den ersten in Deutschland gebauten Satelliten-Antrieb ins All. 1974 erhielt Erno den Auftrag, mit dem europäischen „Spacelab“-Konsortium, dem Firmen aus zehn Ländern angehörten, das erste europäische Weltraumlabor zu entwickeln. „Das war der Höhepunkt meines Lebens“, gestand Ulf Merbold, der 1983 als Wissenschaftsastronaut mit der US-Raumfähre „Columbia“ und „Spacelab“ die Erde umrundete.
Heute entwickeln die Bremer Software für den Landungsfallschirm im Rettungsgleiter der ISS, Antriebe von Satelliten oder hochreines Hydrazin – das ist der Sprit für Erdtrabanten.
Sie mischen auch am einzig wirklich kommerziell erfolgreichen Weltraumprojekt Europas mit: Seit 1979 liefert Bremen Stufen für die Trägerrakete Ariane, die inzwischen in der fünften Version Satelliten ins All schießt.
Und die Zukunft geht weiter: Am Donnerstag erreichte das Gehäuse des Weltraumlabors „Columbus“ aus Italien die heiligen Bremer Hallen: Bis 2003 wird das Labor ausgerüstet, im Jahr 2004 soll es an die ISS andocken.
Vielleicht noch zwanzig, dreißig Jahre wird es dauern, bis Neckermann-Astronauten Urlaub im All machen können, ohne gleich 20 Millionen Dollar auf den Tisch zu blättern – wie im April der US-Amerikaner Dennis Tito. Schon entwickeln die Bremer Weltraum-Hotels. Astrium-Vorstand Josef Kind rechnet mit Kosten von 100.000 Dollar pro Space-Trip: „Da gibt's ernsthafte Ansätze bei uns.“
Aber das ist noch alles eine Frage des sehr langem Atems: Welttouristen müssen Geduld haben. Derzeit werkelt Astrium an wiederverwendbaren Weltraumgleitern: Mit Schall und Rauch wurde gestern das erste 1:1-Modell von „Phoenix“ präsentiert. Der sieben Meter lange unbemannte Gleiter ist die Vorstufe zu „Hopper“, der zunächst Lasten, eines Tages vielleicht auch Passagiere ins All schießen soll. Vorstand Josef Kind: „In 15 Jahren soll Hopper in Serie gehen, wenn es früher wäre, wäre ich sehr glücklich.“
Kai Schöneberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen