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Räpisteli Nippa Nappa

Nach dem 3:0 gegen den FC Haka Valkeakoski aus Finnland und dem Erreichen der zweiten Uefa-Pokal-Runde glaubt man bei Union Berlin, „einen großen Schritt in der Geschichte“ getan zu haben

aus Berlin MARKUS VÖLKER

Die Fußballer aus dem Land von Schwarzwurst, Sauna und Sibelius sind großartige Verlierer. Von jeher sagt man den Finnen eine Einstellung nach, derzufolge ihre Widerstandskraft mit den Widrigkeiten steigt. Lebensfreude entsteht ihnen dort, wo der Mitteleuropäer das innere Gleichgewicht verliert. Wenn sie also wie am Donnerstag ein Spiel mit 0:3 abgeben, ist das kein Grund zur Gram für die Kicker aus Valkeakoski, die sich von den Gestaden der Seen Vanajavesi und Mallasvesi ins Berliner Jahn-Stadion aufmachten, um in die zweite Runde des Uefa-Pokals einzuziehen. Ihr Trainer Keith Armstrong sagte nach der Partie: „Das ist doch schön. Wenn man auswärts verliert, sieht man immer so viele frohe Gesichter.“ Der Engländer, der den Klub aus der Nähe von Tampere seit 1997 zu drei Meisterschaften geführt hat, schaute in mehr als 12.000 jubelnde Gesichter, die sich über den Erfolg von Union Berlin freuten. „Wir haben das Maximale dessen gegeben, was wir leisten können“, meinte Armstrong bescheiden.

Anfangs lief es ganz gut für den FC Haka. Kalter Nebel hüllte Berlin ein. Der Fernsehturm drang tief in die Wolkendecke. Niesel sprühte herab. Ein Wetter, wie es oft über den tausend Seen liegt und über der finnischen Stadt mit ihren 22.000 Einwohnern, von denen einer ins Internetforum seines Klubs schrieb: „Että Cupin pelissä Union Berliiniä vastaan räpisteli nippa nappa puolitoistatuhatta jamppaa. Jääkiekon kakkosdivisioonassakin käy enemmän porukka.“ Finnisch, heißt es vom Dichter Kauko Kare, ist unbequem in der Grammatik, jedoch bestrickend fürs Ohr.

Trainer Armstrong hielt seine Ausführungen zum Spiel in Englisch. Er hätte gern die Union-Spieler mit den Nummern 3, 4 und 33 in den Reihen seiner Mannschaft gesehen, sagte er, währenddessen die Pressesprecherin von Union „die langen Sätze“ mühevoll ins Deutsche übertrug. Aber die von Armstrong benannten Kicker Nikol, Menze und Persich wehrten nunmal für den 1. FC Union Ball und Gegner ab. Sie mussten dabei nicht an die Grenze ihrer Kraft gehen. Schnell stand es 2:0 durch Tore von Djurkovic (36.) und Chifon (43.). Das dritte Tor erzielte Koilov kurz vor dem Abpfiff. „Die finnische Liga ist ja nicht mit der deutschen zu vergleichen“, erklärte Daniel Ernemann, warum er und seine Kollegen das Match „locker nach Hause geschaukelt haben“. Bloß gut, dass es so einfach ging, mag Union-Trainer Georgi Wassilev gedacht haben. Denn dadurch konnte der Klub aus dem Osten Berlins den größten Erfolg feiern. „Wichtig ist, dass wir einen sehr großen Schritt in unserer Geschichte gemacht haben“, sagte Wassilev verhalten. Begeistert verkündete Union-Präsident Heiner Bertram sein „restloses Glück“ über ein „begeisterungsvolles Fußballspiel“. Weil das Spiel live übertragen wurde, hätte man die „Sympathien der gesamtdeutschen Zuschauer gewonnen“ – oder wenigstens „gefestigt“. Denn: „Die kennen uns ja noch aus dem Pokalfinale.“ Damals siegte Schalke. Aber der Bundesligist tritt in der Champions League an. So war für Union der Auftritt in Europa möglich, der schon vor 33 Jahren geplant war. Aber zu Zeiten des Prager Frühlings scheiterte der DDR-Pokalsieger an der politischen Weltlage.

Eine Reminiszenz an die Vergangenheit gaben die Zuschauer. Sie waren unzufrieden mit dem Spielort Jahn-Stadion. Dort lief früher der Stasi-nahe BFC Dynamo auf. Die Fans skandierten „Stasi raus“ als Ordner aufmarschierten. Sie riefen „Auswärtsspiel“, weil sie sich im Stadion „An der alten Försterei“ in Berlin-Köpenick zu Hause fühlen. Allerdings erfüllt dieser Sportplatz nicht die Auflagen der Uefa. Die Aversion ging so weit, dass die Spieler die Umkleidekabine der Auswärtsmannschaft bezogen. In den Berliner Bezirken Prenzlauer Berg und Friedrichshain wären sicher viele Union-Fans zu gewinnen, aber Bertram weiß um die heikle geografische Lage. „Dieses Stadion ist mit Vorsicht zu genießen“, sagte er über den historisch kontaminierten Grund und Boden.

In der zweiten Runde wird Union wieder die Grasnarbe des Jahn-Stadions betreten müssen, weil mit dem FC Lowetsch aus Bulgarien ein „mittelschwerer Gegner“ (Bertram) kommt. Einen großen Verein wie den FC Chelsea würde man später gern im Olympiastadion empfangen. Der FC Haka Valkeakoski indes spielt am Sonntag gegen Tampere United im Tammela-Stadion und muss sich auf einen langen Winter einrichten, der mit ein paar Bier der Marke Karelien, einem guten Stück Oltermanni-Käse und ausgiebigen Saunabesuchen auch vorübergehen wird.

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