szenen vor gericht: Ein Rechtsanwalt darf in dieser Form nicht ausrasten, findet der Staatsanwalt
Streit mit der Kahn der fröhlichen Leute GmbH
Rechtsanwalt Lutz H. ist ein kräftiger Mann von 58 Jahren. Auffallend an ihm ist seine Gesichtsfarbe. Im Normalzustand sticht sie rosa von seinem dunkel karierten Anzug ab. Lutz H. gehört indes zu den hellhäutigen Menschen, die schnell einen roten Kopf bekommen, wenn der Ärger in ihnen hochsteigt. Angeklagt ist H. wegen Unterschlagung und Beleidigung.
1995 hatte Lutz H. die „Kahn der fröhlichen Leute GmbH“ als Anwalt vertreten. Bei der Firma handelt es sich um einen Gaststättenbetrieb aus dem Berliner Umland, der sich offensichtlich durch ausgefallene Namensgebung auf dem Markt profilieren möchte. Und es war ein kleine Sache, in der Lutz H. damals für die Firma tätig wurde: eine Mietangelegenheit. Das Verfahren wurde schnell eingestellt, das Gericht in Potsdam überwies die im Voraus eingezogenen Prozesskosten von 2.541 Mark zurück auf das Konto von Lutz H. Der Anwalt hätte die Summe an die Kahn der fröhlichen Leute GmbH weiterleiten müssen. Es war das Geld der Firma und es stand ihm nicht zu.
Vielleicht hatte Lutz H. zu jener Zeit Geldsorgen, vielleicht überfiel ihn wegen des heiteren Namens seiner Mandanten auch einfach ein seltener Mut: Er behielt jedenfalls die 2.541 Mark für sich. Die Kahn der fröhlichen Leute GmbH schickte Mahnungen. Die Briefe nutzten nichts.
Als schließlich die Polizei mit Vollstreckungsbescheid in H.s Kanzlei stand, wurde der Anwalt ausfällig: „Es hat immer Polizisten gegeben, die sich auf Befehle berufen haben, auch als die Menschen ins KZ gegangen sind“, herrschte er einen Beamten an. Einer Kollegin rief er zu: „Ha! Kahn der fröhlichen Leute, auf die piss ich!“ Als Jurist hätte er sich mit wichtigeren Fällen zu beschäftigen. „In den Akten, die er mir hinknallte, ging es dann um eine missglückte Penisverlängerung“, sagt die als Zeugin geladene Beamtin nun aus, sie ist immer noch ganz erschrocken.
Erst nach drei Jahren Streit hat sich Lutz H. das Ganze noch einmal überlegt. Im Juni 1998 überwies er 2.541 Mark an das Potsdamer Gericht, mit der Bitte, die Summe an seine ehemaligen Mandanten auszuzahlen. Das Geld kam den lustigen Leuten indes zu spät. „Ein Rechtsanwalt darf in dieser Form nicht ausrasten“, findet auch der Staatsanwalt heute. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilt Lutz H. zu einer Geldstrafe von 16.000 Mark.
Nach dem Richterspruch huscht Lutz H. mit gesenktem Kopf aus dem Gerichtsaal. Sein Nacken zeigt eine leicht rötliche Färbung. Ob er ursprünglich wirklich geglaubt hat, mit dem Geld durchzukommen, ist unklar. Er hat während der gesamten Verhandlung geschwiegen.
Der sonderbare Name der Gastronomiefirma geht übrigens zurück auf den Titel eines Defa-Films von 1950. Die musikalische Liebeskomödie „Kahn der fröhlichen Leute“ erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das nach dem Tode seiner Eltern versucht, den väterlichen Motorkahn weiterzubetreiben. KIRSTEN KÜPPERS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen