Postmoderne im Madras-Stil

Von Gottheiten und dem eigenen Körper: Das Museum für Indische Kunst zeigt mit Sultan Ali, Reddappa Naidu und Ebenezer Sunder Singh drei Maler aus der Künstlerkolonie Cholamandal

von MICHAEL NUNGESSER

Seit fast einem Jahr präsentiert sich das Museum für Indische Kunst mit einem gewandelten Konzept. Teil der Erneuerung bilden auch Wechselausstellungen mit zeitgenössischer indischer Kunst: Sie sollen 2006 zu einer großen Überblicksschau im Martin-Gropius-Bau gebündelt werden. Gegenwärtig zeigt das Museum im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen in unmittelbarer Nähe zur ständigen Sammlung drei indische Maler unter dem Titel „Inspirationen“. Sie entstammen der international bekannten, nahe bei Chennai (früher Madras) gelegenen Künstlerkolonie Cholamandal, die 1965 von K. C. S. Paniker gegründet wurde. Unter den Ausstellern gehören die beiden schon verstorbenen Maler Sultan Ali und Reddappa Naidu zu den Pionieren des Künstlerdorfes, der dritte, Ebenezer Sunder Singh, zählt zur Nachfolgegeneration.

Alle drei Künstler beziehen sich auf die europäische Moderne und versuchen dabei, an eigene ästhetische Traditionen und Mythen anzuknüpfen. Auch die für Indien typische Vielfalt der Religionen kommt in motivischen Elementen aus Islam (Ali), Hinduismus (Naidu) und Christentum (Ebenezer) zum Tragen. Sultan Ali (1920-1990) führt in seinen Bildern Traumszenen mit Gottheiten, Tieren und Fabelwesen vor. Seine Zeichnungen in Tusche und Kohle oder die Gemälde in warmen Acryl- und Aquarellfarben arbeiten subtil mit Elementen aus Ornamentik und phantastischer Bildsprache. Reddappa Naidu (1932-1999) knüpft direkter an hinduistische Mythen und deren Figurenarsenal an. Er überführt sie in flächig-abstrahierte, märchenhafte Kompositionen, die von erdigen Farben dominiert werden.

In den zeichnerisch geprägten Werken von Ebenezer (geboren 1966) steht die menschliche Gestalt im Vordergrund. Der Künstler geht vom eigenen Körper als Bezugspunkt und Übermittler von Gefühlen und Erinnerungen aus. Als nackter Mann mit kahlem Schädel tritt er in Alltagssituationen auf, die dann in metaphorische Szenen verwandelt werden. Das Ironisch-Groteske dieser Inszenierungen wird in einer Reihe kleiner Bilder durch hinzugefügte Worte wie „Idly in you“ oder „This is Minnie, I am Mickey“ noch gesteigert.

Zu den Acrylgemälden auf handgeschöpftem Papier gesellen sich zwei bemalte Fiberglasskulpturen: ein Liegender mit Ballon im Mund und ein Schreitender, der einen zweiten Mann auf dem Kopf balanciert. Wer Ebenezers skurrile Bildwelt noch näher kennenlernen möchte, sollte sich auch seine Einzelausstellung in der Galerie Bellevue anschauen, die vor allem Kohlezeichnungen zeigt.

Die so unterschiedlichen Maler lassen erkennen, dass das an der Koromandel-Küste im Südosten des Subkontinents gelegene, selbstverwaltete Künstlerdorf einen wichtigen Beitrag zur Identitätssuche der indischen Künstler geleistet hat. Die Anregungen von außen reichen von Bauhaus-Künstlern wie Paul Klee (durch Vermittlung von Rabindranath Tagore in Indien schon in den 30er Jahren ausgestellt) bis zur Postmoderne (Francesco Clemente war häufiger Besucher in Cholomandal). Sie werden auf originelle Weise mit eigenen Wurzeln und subjektiven Erfahrungen verknüpft und künstlerisch tragfähig gemacht.

Bis 30.12., Museum für Indische Kunst, Lansstr. 8, Di bis Fr10-18 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr; bis 30.12., Galerie Bellevue, Flensburger Str. 13, Mo bis Fr 16-24 Uhr, Sa und So 15-24 Uhr.