piwik no script img

Der Stein, der hört, wo er herkommt

■ „Kunst und Wissenschaft“: Das Symposium der Böll-Stiftung bei Rabus

Ein kindskopfgroßer, wunderbar ebenmäßig geformter Stein, der Ablagerungsringe aus lang vergangenen Zeiten zeigt, liegt auf einem Podest. Neben ihm ein walkman, die Kopfhörer sind dem Stein aufgesetzt worden. Aus ihm dringen Geräusche seines Fundortes: Wellen schlagen gegen irgendein Ufer. His first Sony, möchte man denken, aber Humor ist nur eine Seite der Arbeiten des Künstlerinnenpaars Madelon Hooykaas und Elsa Stansfield.

Typisch für diese Arbeiten ist die nahezu wissenschaftliche Anordnung der Werkbestandteile, der interessierte Blick auf Naturphänomene, aber auch die Einordnung in menschliche Kategorien wie Erinnerung, Ohnmacht, Orientierung oder eben Humor. Technik spielt eine große Rolle, ohne die Arbeiten zu dominieren. Sie ist vielmehr ein Mittel der Verstärkung, sie erlaubt, wie die Galeristin Katrin Rabus anlässlich einer früheren Ausstellung der beiden schrieb, „sensible Aussagen über Zeit, Bewegung, Klang“. Dass hier eine Art Forschung betrieben wird, spiegeln auch die beiden filmstills, die großflächig an der Wand hängen: In einer öden, verlassenen Landschaft stehen zwei Holzhütten, im Vordergrund des einen Bildes eine robust anmutende Frau mit einer knallroten Outdoor-Jacke und hochgeschlagener Kapuze.

Womit wir mitten im Thema sind. „Kunst und Wissenschaft“ lautet der Titel eines Symposiums, das die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit der Galerie Rabus veranstaltet und das von der Ausstellung der beiden Künstlerinnen begleitet wird. Neben dem Eröffnungsvortrag des Kunsthalle-Kustos Andreas Strobl sind bis 15. November weitere Vorträge, unter anderem von Heinz-Otto Peitgen, dem Direktor des Centrums für Complexe Systeme und Visualisierung geplant.

Strobl hatte es angesichts des weitgefassten Themas nicht leicht. „Man hätte diesen Vortrag auch ganz anders halten können“, gab er gegen Ende zu und empfahl allen, die die Antworten zeitgenössischer Künstler auf den heutigen Wissenschaftsbetrieb hören und sehen möchten, Band 144 des Kunstfo-rums. Strobl selbst hatte sich für ein andere Herangehensweise entschieden: An Beispielen aus der Kunstgeschichte illustrierte und erläuterte er den Titel seines Vortrages: „Kunst und Wissenschaft: Schwesterfelder oder zwei Welten?“ Und ging dabei weitgehend historisch vor.

Als möglicherweise goldenes Zeitalter der Geschwister Kunst und Wissenschaft bezeichnete er die Kunstkammern der Fürstenhöfe, in denen „das Ding aus der Natur neben dem Artefakt aus der Antike stand, der Knochen neben fein Ziseliertem lag.“ Die später, im 18./19. Jahrhundert entstehenden Museen der Kunst und der Naturwissenschaft haben dagegen zwei Wege der Erkenntnis getrennt: Rationalität, Exaktheit und Abstraktion als die Pfade der Wissenschaft, die Anschauung und das Improvisatorische als die Wege der Kunsterkenntnis. Dem Stammpublikum der Rabusgalerie, das man sich getrost als ein in Kunst und Geschichte bewandertes vorstellen darf, dürfte das nicht neu gewesen sein.

Vielleicht hätte sich Strobl deutlich von der Allgemeinheit des Themas lösen sollen. Über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft wird man mit einem so frontalen wie schulmäßigen Zugang nicht viel Neues herausbekommen. Nebeneinstiege böten sich hier an, zu denen Strobls Vortrag durchaus Einladungen enthielt. So zeigte er Aquarelle aus den Büchern der Maria Sybilla Merian, die im 19. Jahrhundert Flo-ra und Fauna der Insel Surinam katalogisierte und die den distanzierten Blick der Forscherin mit dem einfühlenden und berauschten der Künstlerin verband. Womöglich hätten sich hier Parallelen zur Arbeit der (anwesenden) Künstlerinnen Stansfield und Hooykaas ergeben, die die Wissenschaft auch nicht aus der Kunst entlassen wollen. So aber folgte auf die Aquarelle der Merian nur der Hinweis, dass anschließend die Fotografie den Exaktheitsanspruch der Kunst abgelöst hat und so quasi zum Totengräber der abbildenden Malerei wurde.

Auch der Verweis auf die Physiognomik als eine Wissenschaft, die die Erkenntnis an der Oberfläche des Menschen vermutet und heute eine entfernte Neuauflage durch den geplanten Fingerabdruck im Pass oder den gescannten Kopfknochen als Identifizierungs- und Kontrollmittel erlebt, war spannend, wurde aber nicht weiter verfolgt.

Das möglicherweise neue Selbstbewusstsein solcher, wieder auf vermeintliche Exaktheit sich berufende Wissenschaften, zu denen natürlich auch und in erster Linie die Gentechnik gehört, ist eine Provokation für die Kunst und ihre Erkenntnisse. Im Gegensatz zur Wissenschaft weiß sie schon längst und vergisst es auch nicht, dass Terroristen nicht mit Fingerabdrücken, und dem menschlichen Leben nicht mit den Zahlen- und Buchstabenkolonnen des Genoms beizukommen ist. Die Frage ist nur, ob jemand es wissen will.

Elke Heyduck

Der Vortrag von Heinz-Otto Peitgen:„Risse im mathematischen Weltbild: Kunst und Wissenschaft im 20. Jahrhundert“ findet kommenden Donnerstag (20 Uhr) in der Galerie Rabus (Plantage 13) statt. Öffnungszeiten der Ausstellung: Dienstag bis Freitag von 15 bis 18 Uhr sowie nach Absprache: Tel.: (0421) 35 65 68

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen