: Der große Sprung zur Allianz
Der Krieg gegen den Terror bringt US-Präsident Bush und seinen chinesischen Kollegen Jiang „Seite an Seite“. Doch wie lange hält der Schulterschluss?
aus Peking GEORG BLUME
Es sieht so aus, als könnte der amerikanische Präsident George W. Bush dieser Tage die Welt verändern, doch die Bescheidenheit eines Mao Tse-tungs besitzt er nicht. Als der Große Steuermann vor knapp dreißig Jahren, am 21. Februar 1972, als erster Staatsführer der Volksrepublik China mit einem US-Präsidenten zusammentraf, entgegnete er auf ein Kompliment seines Gastes Richard Nixon: „Es ist mir nicht gelungen, die Welt zu verändern. Ich habe nur ein paar Orte in der Nachbarschaft Pekings verändern können.“ Präsident Bush dagegen ist bisher nicht auf die Idee gekommen, dass seine Anti-Terror-Kampagne nur ein paar Orte in der Nachbarschaft Kabuls verändern könnte.
Der Vergleich zwischen beiden Treffen lag gestern gleichwohl nahe. Seit dem Besuch Nixons in Peking hat kein zweites Gipfeltreffen zwischen den USA und China eine so konkrete Wende produziert wie das zwischen Bush und dem chinesischen Präsidenten Jiang Zemin am Freitag in Schanghai. Damals schlossen Nixon und Mao, deren Glaube und Ideologie Welten trennte, ein strategisches Bündnis gegen die Sowjetunion. Diesmal vereinbarten Bush und Jiang, die noch vor Monaten einen Kalten Krieg miteinander zu führen schienen, „Seite an Seite“ gegen den Terrorismus zu kämpfen. „Es gibt kein Zögern, keinen Zweifel, dass Präsident Jiang Zemin und die chinesische Regierung in dieser schrecklichen Zeit hinter den USA und ihrem Volk stehen“, bescheinigte Bush seinem neu gewonnenen kommunistischen Bündnispartner uneingeschränktes Vertrauen. Und Jiang bestätigte: „Auf dem Gebiet der chinesisch-amerikanischen Beziehungen, im Kampf gegen den Terrorismus und hinsichtlich des Erhalt von Weltfrieden und Stabilität haben wir heute einen Konsens erreicht.“
Auch in den vergangenen Sternstunden des amerikanisch-chinesischen Verhältnisses, beispielsweise während des Besuchs von Jiang Zemin bei Bushs Amtsvorgänger Bill Clinton im Herbst 1997 und dessen Gegenbesuch in China im Sommer 1999, boten die gemeinsamen Pressekonferenzen der Führer nicht mehr als die höfliche Mitteilung von Meinungsverschiedenheiten. Dann betonte Jiang, wie wichtig es sei, dass sich die Amerikaner nicht in Taiwan einmischten, und Clinton lektorierte über die positive Bedeutung der Menschenrechte für die weitere Entwicklung Chinas.
Anklänge an diesen „Dialog der Tauben“ waren auch gestern noch zu vernehmen. So als Bush die chinesische Regierung davor warnte, dass der Kampf gegen den Terrorismus „niemals als Vorwand zur Verfolgung von Minderheiten dienen dürfe“. Jiang und die chinesichen Staatsmedien werden den Satz einfach überhört haben. Umgekehrt dürften auch Jiangs Bemerkungen zur Taiwan-Frage bei den Amerikanern diesmal unter den Tisch gefallen sein.
„Aufrichtig, konstruktiv und kooperativ“ sollen die Beziehungen zwischen den USA und China nun laut Bush sein. Doch kann man dem neuen Pazifikfrieden trauen? Der US-Präsident persönlich hatte die Volksrepublik noch vor Monaten als „strategischen Rivalen“ im Feindeslager geortet. Der langfristige Strategien niederlegende Vierjahresbericht des Pentagon war in diesem Herbst ursprünglich ganz auf die Begegnung mit dem „militärischen Wettbewerber“ China zugeschnitten gewesen. Erst in den letzten Tagen vor seiner Veröffentlichung wurde er auf die terroristische Bedrohung ausgelegt.
„Das qualitative Umdenken bezüglich Chinas ist in Washington weiter als je zuvor gegangen“, kommentiert Kay Möller, Asienexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Doch Möller geht auch heute noch davon aus, dass sich dieses Umdenken gegen die Volksrepublik richtet: „Die jetzige Situation in Zentralasien könnte auch zu einer Verstärkung der amerikanischen Anti-China-Strategien führen“, argumentiert Möller – ganz gegen den Schein der weltpolitischen Show in Schanghai.
Die Show aber war zu eindrucksvoll, um nicht ihre eigene Wirkung zu entfalten. Das gilt vor allem in ökonomischer Hinsicht: Solange das größte Industrieland und das größte und am schnellsten wachsende Entwicklungsland sich gegenseitig Vertrauen einflößen können, ist die Zukunft der Globalisierung zur Hälfte gesichert. Das kann vielleicht sogar Japan vertrösten – jenes Land, das die USA vor dem 11. September erneut zu ihrem wichtigsten Verbündeten in Asien erklärt hatten und an dem die Weltpolitik gestern wieder vorbeilief. Doch ob sich die Einigkeit, die Bush und Jiang gestern beschworen, konkret auf die Lebensverhältnisse der Menschen auswirkt, steht noch lang nicht fest. Vielleicht bleibt sie auch ein Papiertiger.
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