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Es sind ihre Straßen

Aufbau Ost als Rückkehr einer unterkühlten Moderne: Die Galerie Bodo Niemann zeigt Hans-Christian Schinks Fotografien zum „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 1997–2001“

Die fotografischen Tableaus von Hans-Christian Schink zeigen alles. Durch seine Linse werden sämtliche Objekte unter wolkenlosem Himmel peinlich genau auf Großformate gebannt. Dabei verschmelzen die klassischen Fokusse der Renaissance und der Moderne: Mal scheinen die Bildoberflächen uneingeschränkt den Raum bis in die Tiefe zu durchleuchten, dann wieder reicht die Vorliebe für Strukturen bei der Darstellung technischer Bauwerke bis ins kleinste Detail.

Der Titel der aktuellen Ausstellung in der Galerie Bodo Niemann ist nicht weniger mustergültig: „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 1997–2001“. Damit bezeichnet der renommierte Architekturfotograf Gegenstand und Etappe seines noch unabgeschlossenen Bildkomplexes, nämlich die Dokumentation der gleichnamigen Großbauvorhaben in den neuen Bundesländern. Die abgelichteten Tunnel und Bahntrassen, Brücken und Schotterpisten sind Bestandteile des neuen Verkehrsnetzes, mit dem sowohl die Infrastruktur als auch die Verbindung zur alten Bundesrepublik verbessert werden sollen.

Bereits Bildtitel wie „ICE-Strecke bei Radefeld“, „A14, Saalebrücke Beesedau (3)“ oder „A 14, Brücke Nehlitz“ lassen auf den lakonischen Umgang mit den Sachaufnahmen schließen. Trotzdem kann man sich angesichts der puristischen Formen und des rohen Betons der soeben fertig gestellten Verkehrsbauten nicht jenes heroischen Eindrucks erwehren, der an den unter Architekten der Zwanzigerjahre geläufigen Fotografien von amerikanischen Silos und Speicherbauten erinnert.

Suchten die Vertreter der Moderne lediglich nach einer monumentalen, offenkundig funktional begründeten Ästhetik, so stilisiert Schink in seinen Fotografien auch die schöne heile Welt der „Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“. Mit dieser Bezeichnung gesetzlich sanktioniert, soll der Landschaftsverbau der Verkehrstrassen durch die Schaffung höherwertiger Renaturierungen wettgemacht werden.

Kein Detail in den Bildern verweist auf die notwendigen Verwerfungen der Baumaßnahmen in der Landschaft. Dennoch gelingt es Schink, die trügerischen Kompensationen durch das zu satte und frische Grün der Pflanzen oder der perfekt modellierten braunen Erde sichtbar werden zu lassen. Die einem romantischen Landschaftsbegriff geschuldete, künstlich erzeugte Einbettung der Bauwerke in den umgebenden Naturraum wird zur Diskussion gestellt, jedoch nicht bewertet.

Zugleich ist aber auch nichts von irgendeiner zukünftigen Nutzung zu sehen, weder Autoverkehr noch Graffiti. Dank der ungewohnte Perspektive werden die späteren Fahrwege vom Betrachter ohnehin mehr als singuläre Skulpturen denn als strukturelle Elemente wahrgenommen.

Die Assoziation an eine Bühnenbild kommt nicht von ungefähr: In der makellosen Bildebene friert Schink den Prozess des Entstehens und Nutzens auf einen unwirklichen Zwischenstand ein, der allenfalls Hintergrund für eine Eröffnungszeremonie mit Sekt und Minister bilden könnte. MICHAEL KASISKE

bis 24. 11., Mi–Fr 13–18 Uhr, Sa 12–18 Uhr, Galerie Bodo Niemann, Auguststraße 19, Berlin-Mitte

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