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Über die Dörfer

Mit der größeren Offenheit im Iran wird die Lebenssituation der Kurden auch zum Kinothema. In seinem Film „Zeit der trunkenen Pferde“ folgt Bahman Ghobadi einer Handvoll Kindern, die sich im Grenzgebiet zum Irak als Schmuggler durchschlagen – zwischen verschneiten Bergen und verminten Feldern

von THOMAS WINKLER

Unruhig folgt die Handkamera den Kindern durch das Chaos des Marktes, die Optik immer auf Augenhöhe der kleinen Protagonisten. Ein Leben in der Hektik des Handels mit den Beinen der Erwachsenen als Slalomstangen. Durch Hosenbeine hindurch blicken braune Augen verloren in eine Ferne, die jenseits des Bildes liegt. „Zeit der trunkenen Pferde“ erzählt vom kargen Leben im kurdischen Teil des Irans. Die Winter sind kalt im Grenzgebiet zum Irak, die Menschen leben vom Schmuggel, weil die Felder vermint sind. Die Pferde und Esel werden mit Schnaps abgefüllt, damit sie den Weg über die Berge überstehen.

In Bahman Ghobadis Film werden fünf Geschwister zu Waisen, als ihr Vater ums Leben kommt. Der älteste Sohn Madi leidet an Kleinwüchsigkeit, deshalb muss Ayub nun in die Fußstapfen des Vaters treten und Autoreifen schmuggeln, um die anderen zu ernähren. Madi braucht eine Operation, sonst wird er sterben. Die älteste Tochter willigt in eine Ehe ein in der Hoffnung, die Familie ihres Mannes werde sich um ihn kümmern. Diese Hoffnung trügt wie andere vor ihr, andere nach ihr.

In „Zeit der trunkenen Pferde“ wird kaum geweint, die Trauer spiegelt sich in den Augen der Kinder. Regisseur und Autor Ghobadi hat in seinem Spielfilmdebüt ein Thema weitergeschrieben, das er bereits in einem 28-minütigen Dokumentarfilm aufgegriffen hatte. Die Waisen spielen nun sich selbst, gedreht wurde in ihrem eigenen Dorf mit dessen Bewohnern. Ghobadi hat selbst drei Jahre seiner Kindheit hier verbracht und sich und seine Familie hoch verschuldet, um den Film drehen zu können. Mutter, Bruder und Schwester waren zudem als Mitglieder der Crew dabei, in der Ghobadi selbst der einzige Profi war.

Letztlich ist es die Politik, die „Zeit der trunkenen Pferde“ ermöglicht hat, denn der Film ist eine Konsequenz der größeren Offenheit im Iran der letzten Jahre. So erzählte Ghobadi am Rande der letzten Berlinale, wo der Film beim Kinderfilmfest lief, dass es keinerlei Probleme mit der Zensur gegeben habe. Er habe nur ein dreiseitiges Exposé vorlegen müssen, das Drehbuch wurde nie abgenommen, obwohl sein Film der erste iranische ist, in dem Kurdisch gesprochen wird. Zwar werden die ungefähr zehn Millionen Kurden im Iran weiter diskriminiert, aber im Irak, der Türkei und Syrien, den beiden anderen Ländern mit einem wesentlichen kurdischen Bevölkerungsanteil, hätte der Film so wohl nicht entstehen können. Als „Zeit der trunkenen Pferde“ in türkischen Kinos anlief, war dies nur möglich, weil der Verleih gegenüber der Kontrollkommission behauptete, der Film sei eine französische Produktion.

Im Iran ist „Zeit der trunkenen Pferde“ nur einer von mehreren Filmen, die sich der Kurdenproblematik annehmen. In Abbas Kiarostamis letztem Film „Der Wind wird uns tragen“ verschlug es einen Mitarbeiter des iranischen Fernsehens auf quasi ethnologischer Exkursion in ein abgelegenes kurdisches Bergdorf. In „Die schwarze Tafel“ folgt Samira Makhmalbaf einer Gruppe kurdischer Flüchtlinge, die im irakisch-kurdischen Grenzgebiet zwischen Bomben und Patrouillen hin und her irren.

Vielleicht ist es Vorsicht und Angst vor Repressionen, die Ghobadi angesichts seines prekären Themas fast schon beschwörend behaupten lassen: „Ich verstehe überhaupt nichts von Politik, ich mag Politik nicht.“

Obwohl er eine Szene eingefügt hat, in der an einer Straßensperre die Kinder durchsucht und kurdische Schulbücher beschlagnahmt werden, sieht er seinen Film allenfalls sozialkritisch. „Ich glaube auch, dass die Menschen dort Hilfe brauchen. Aber ich wollte nur die Gesellschaft dort in der Grenzregion darstellen, das unglaublich harte Leben, das man dort führt.“

Man muss nichts wissen von der Authentizität der Figuren. Man kann sie förmlich spüren. Wenn die Pferde betäubt von der Kälte und torkelnd vom Alkohol ihre Schmugglerware verlieren, wenn die Kamera zurückfährt und die Menschen sich verlieren in der schier unendlichen Schneelandschaft, ist nicht nur zu sehen, wie die Hoffnung wieder einmal schwindet. Es ist förmlich zu fühlen.

Als der Esel nicht mehr weiter kann, wird Ayub schließlich selbst seinen Bruder Madi über die Berge tragen. Zum ersten Mal wird der Himmel aufreißen und die Sonne scheinen und die Hoffnung wiederkehren. Für einen kurzen Moment. Dann ist der Film zu Ende und Ayub, Madi, Rojin, Ameneh und Kolsum sind keine Filmfiguren mehr. Nun sind sie wieder fünf kurdische Kinder im iranischen Grenzgebiet zum Irak.

„Zeit der trunkenen Pferde“.Regie: Bahman Ghobadi.Mit Ayub Ahmadi, Rojin Yunesi u. a.,Iran 2000, 79 Min.

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