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Da hört der Spaß auf

■ Jubel, Trubel, Saufgelage – ischa Freimaak. Und was ist, wenn auf der Mutter aller Jahrmärkte nichts passiert?

„Jetzt kommt Schwung in die Hütte, jetzt geht's ab. Hopp hopp!“, schreit das Band bei Airwolf, dem Herrn der Lüfte. Vier Mädels kreischen, der Airwolf, eine Mega-Monster-Schaukel, ist fast leer. Der Mann im Kartenhäuschen gähnt, dann schreibt er eine SMS.

Kurz nach Mittag, kühl und diesig ist es, nur ein paar Familien schieben sich doch schon über die Bürgerweide. Halbzeit auf der Mutter aller Jahrmärkte. Fast vier Millionen Besucher sollen dieses Jahr kommen. Nur jetzt noch nicht. Bis nachmittags fährt der Riesen-Rummel im ersten Gang. Erst abends und an den Wochenenden ist alles proppenvoll – und, wenn Ende des Monats die Löhne überwiesen sind. Nur die Schausteller, sie müssen immer da sein. Da hört der Spaß auf.

„Hydraulik und Licht testen wir schon morgens – natürlich ist das jetzt sterbenslangweilig“, meint Willi Schmidt vom Kinderkarusell. Auf der Bremer Kirmes gibt's nicht nur Gaudi, sondern auch feste Gesetze: „Das Marktamt sagt: Ab zwölf Uhr kann man, ab ein Uhr muss man öffnen“, bedauert Schmidt. Nach 52 Jahren als Schausteller juckt den Freimarkt-Fuchs aber auch die unnütze Warterei nicht mehr groß: „Kannste nix machen.“ Berufsrisiko.

Dumbos, Drachen, Feuerwehrwagen und sonstige Fliwatüts blinken und hupen, Schmidt ruft: „Einsteigen bitte“, eine Mama setzt zwei Knirpse in den Polizeihubschrauber. Schmidt setzt alles in Gang, dann drückt er auf den Schalter „Flugsteuerung“. Die Dumbos gehen in die Höhe, die Kleenen quietschen. Natürlich lohne sich der Tripp mit zwei Gästen nicht. Aber wenn das Karusell still steht, steigt erst recht keiner ein. Schmidt: „Ich fahre auch mit einem Gast.“ Und ins Mikro: „Immer wieder ein Erlebnis für kleine Freimarkt-Besucher!“

Freimarkt, die 966. Auflage des ältesten Volksfests im Lande. 34 Fahrgeschäfte, 21 Kinderbelustigungen und 322 Schausteller warten auf das große Geld. Beklagt über zu wenig Andrang hat sich noch niemand. Wenn nur diese öden Nachmittage nicht wären!

Bei „Sling Shot“, der Kugel, die Gäste mit 140 Stundenkilometern 60 Meter in die Höhe schießt, schauen sie fern, beim „Uhse-Schwenkgrill“ stehen sich die Köche die Beine in den Bauch. Die drei Verkäuferinnen beim „Aale würfeln“ schauen griesgrämig, nur bei der „Hansekogge“ geht grad ein Lumumba über den esen. Sechs Mark fuffzich. Prost.

Auch die Sicherheits-Sheriffs sind unterbeschäftigt: Zwei spielen „Time Bingo“ im „Beverly Hills“. Bei „Glücks-Prinz“ ruft der Lose-Mann: „Kommense rein. Hier ist Onkel Hannes – der kann es.“ Seine vier Losverkäufer starren ins Leere – kein Kunde. Die sind noch auf Schicht.

Hilde Tolisch vom „Space Shuttle“ ist sowieso stinksauer. „Wir stehen hier in der schlechtesten Reihe – nur weil die vom Markt meinten, das Ding sei abgenudelt.“ 6.000 Mark Standgeld hat sie für ihre virtuelle Rakete bezahlt. Um diese Zeit des Tages „kann ich mir doch glatt das Stromgeld sparen.“ Dabei hat Tolisch dieses Jahr ein völlig neues Raketenprogramm mit Supernovas und dem Freizeitplaneten Hyperion dabei. Da nichts läuft, spricht sie potentielle Kunden einfach per Mikro persönlich an: „Hallo Sie da! Bei uns kommt auch die Oma mit an Bord!“

Michael Friedrich vom „Süßen Paradies“ legt die „Bild“ beseite. Klar sind mittags noch keine Kunden da – aber das macht nichts. „Mandeln brennen, Früchte machen, Schokolade für die Äpfel erhitzen – ich hab immer was zu tun.“ Außerdem kann Friedrich sein Herz an einem Lebkuchenherz erwärmen, das seit einem Jahr im „Süßen Paradies“ hängt – absolut unverkäuflich. Ein Grammatikfehler-Einzelstück mit der Aufschrift für einsame Verkäufer: „Ich bin gern bei Dich.“ Kai Schöneberg

Heute um 11 Uhr startet der Freimarktumzug von der Neustadt durch die Martinistraße über den Marktplatz zum Bahnhofsvorplatz. 4.300 Teilnehmer und bis zu 200.000 Zuschauer werden erwartet.

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