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Die Probleme des Dialogs

Das Recht auf Differenz leitet Sabiha El-Zayat vom Zentrum für Islamische Frauenforschung in Köln (ZIF) genauso aus dem Koran ab wie die Gleichwertigkeit der Geschlechter. Ein Gespräch

„Ich halte den Islam sogar für hochgradig demokratisch“

Interview EDITH KRESTA

taz: Hat der 11. September die Situation von MuslimInnen in Deutschland verschlechtert?

Sabiha El-Zayat: Ja! Verändert auf jeden Fall. Nach dem 11. September hatten wir im Zentrum für Islamische Frauenforschung (ZIF) schon recht bald eine Zunahme von Anfragen. Die Frauen beklagten sich über Beeinträchtigungen ihres normalen Alltags, sie würden mehr als bisher belästigt und verspottet. Besonders Mütter hatten Angst um ihre Kinder. Die pädagogischen und die psychischen Folgen für Kinder, wenn eine Grundschülerin von ihrer Lehrerin vor der Klasse beschuldigt wird: „Das waren Leute von euch, die das gemacht haben“, werden nicht thematisiert. Es gab Jobabsagen, Mietverträge wurden in Frage gestellt. Islam wurde und wird völlig undifferenziert mit Extremismus und Gewalt gleichgesetzt.

Ist jetzt Deeskalierung angesagt?

Vielleicht, was die persönlichen Ängste betrifft. Global betrachtet spitzt sich die Sache ja immer weiter negativ zu. Viele Muslime sind entsetzt, wie Minister Schily das berechtigte Sicherheitsbedürfnis der Bürger innenpolitisch umsetzen möchte.

Was meinen Sie konkret?

Die Diskussion um das 2. Sicherheitspaket. Was heißt denn „Unauffälligkeit“ als Merkmal der Identifizierung?

Fühlen auch Sie sich auf dem Prüfstand? Ihnen wird Nähe zu Milli Görüs vorgeworfen.

Ich sehe mich persönlich mit einer Art Verschwörungstheorie konfrontiert aufgrund meiner geschwisterlichen Beziehung zum Vorsitzenden von Milli Görüs, Mehmet Sabri Erbakan. Gleich was ich sage, es wird mir immer als Teil einer konstruierten Strategie ausgelegt. Dann kommt der Vorwurf der Heuchelei. Das beendet jeden Dialog. Ich empfinde diesen harten Vorwurf als in höchstem Maße undemokratisch, ebenso wie den Umgang mit Milli Görüs (wörtl.: „Volks-Sicht“ und nicht „nationale Sicht“ oder gar „Eroberung“, wie am 23. 10. 2001 von Herrn Herderhorst, dem innenpolitischen Sprecher der CDU in Bremen, vermutet). Der Islam würde den Anschuldigenden verpflichten, den Beweis zu erbringen. Darum halte ich den Islam für hochgradig demokratisch.

Islam und Demokratie – geht das zusammen?

Das ist ein Verdacht, der gerne geschürt wird, der aber von den Verdächtigten absolut verneint wird. Es gibt mehrere Presseerklärungen, Artikel, Beteuerungen, Medienaussagen, auch von Milli Görüs. Es darf erwartet werden, dass ernst genommen wird, wenn jemand sagt: Diesen Standpunkt haben wir, diese oder jene Entwicklung hat sich bei uns vollzogen, dieses und jenes erwarten wir! Vergessen wir doch nicht, dass wir einen Generationswechsel bei den Muslimen haben. Auch Barbara John, die Ausländerbeauftragte von Berlin, hat ja betont, dass bis heute keine einzige Straftat auf das Konto von Anhängern der Milli Görüs geht. Wenn der Verdacht dann aufrechterhalten wird, fragen sich die Muslime, ob tatsächlich das Bedürfnis nach Schutz der Demokratie zu diesen phobischen Verdächtigungen führt oder ob möglicherweise die gebetsmühlenhafte Wiederholung des Verdachts einem anderen Bedürfnis dient.

Jetzt unterstellen aber Sie etwas . . .

Ich habe das in den Medien sehr genau beobachtet. Zunächst hieß es, die Organisation sei vom Verfassungschutz als bedenklich eingestuft; die Sprache wandelte sich schnell in „radikal und gewaltbereit“, genau so wie in diesen Tagen aus einem „arabischen Terroristen“ ein „islamischer Terrorist“ und dann ein „terroristischer Islam“ wurde.

Wie stehen Sie zum säkularisierten Staat?

Gemeinhin ist damit eine Trennung von Staat und Kirche impliziert. Nun, da wir keine Kirche haben, kann sie sich auch nicht von einer zweiten Größe, dem Staat, trennen. So weit die Logik. Aber sprechen wir von Gewaltenteilung, so haben die Muslime mehrheitlich keine Schwierigkeit mit der Anerkennung der demokratischen Grundordnung. Das verhindert nicht, dass wir unser rituelles Leben und unsere Religion leben möchten, und das heißt, dass wir islamisches Denken und Fühlen gesetzlich und gesellschaftlich diskutiert und nicht diskreditiert sehen möchten.

Was die Muslime stört, ist, dass sie nicht den rechtlichen und gesellschaftlichen Stellenwert erlangen, den andere Religionsgemeinschaften ganz selbstverständlich innehaben. Mich wundert auch die undurchdachte Art, wie diese grundgesetzlichen Rechte verweigert werden. Sicherlich führt dies nicht zu der allseits gewünschten Integration. Was wir heute als demokratische Werte verstehen, ist für mich etwas, was ich aus dem Koran genauso ziehen kann.

Auch die Gleichberechtigung der Frauen?

Ja, gerade diese. Besonders bei dem Thema Frauen müssen wir versuchen, das Prinzip, das im Koran gegeben ist, nämlich die absolute Gleichwertigkeit der Geschlechter, umzusetzen.

Gibt es einen Unterschied zwischen Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit?

Ja, einen qualitativen. Gleichberechtigung ist eine Teilmenge von Gleichwertigkeit. Gleichberechtigung in ihrem wörtlichen Sinne umfasst beispielsweise nicht das Recht auf Differenz. Bleiben wir beim Begriff der Gleichberechtigung stehen und nehmen ihn als absoluten Wert, haben wir einen quantitativen Wert, der jedoch allein nicht immer Gerechtigkeit garantieren wird. Die feministische Diskussion lehrt uns dies.

Wie soll die Gleichwertigkeit umgesetzt werden?

Es ist tragisch, wenn bei der Erarbeitung von Werten nicht die originären Offenbarungstexte im Mittelpunkt der Forschung stehen. Diese Texte müssen wir befragen, und zwar selbst, nicht durch andere befragen lassen.

Was heißt das heute?

Ein Text, der für sich in Anspruch nimmt, ein göttlicher Offenbarungstext zu sein und damit zeitübergreifend, muss mir auf meine Fragen, die ich heute habe eine Antwort geben können.

Also den Islam an die Moderne anpassen?

Was ist die Moderne? Leben wir nicht in der Postmoderne? Anpassen ist nicht das richtige Wort. Der Koran beinhaltet die Möglichkeiten einer zeitgemäßen Erschließung in sich selbst.

Welche Rolle spielt die Frauenfrage in der Arbeit des ZIF?

Unsere Schwierigkeiten sind nicht gerade gering. Vor allem was eine förderliche Beratung für die Alltagsbewältigung muslimischer Familien angeht.

Konkret?

Es ist einfach so, dass viele Muslime Dinge als unverzichtbar zum Islam gehörig betrachten, die aber eigentlich auf kulturellen patriarchalen Traditionen beruhen. Etwa dass in diesen tradierten Kontexten Mädchen und Jungen nicht gleichwertig behandelt werden. Im Koran gibt es dafür keinen Rückhalt. Aber diese Menschen meinen, dass ihre Sichtweise islamisch sei. Es ist viel Nichtwissen dabei. „Was sagt die Nachbarschaft, die Verwandtschaft?“ ist wichtiger als „Was sagt der Koran?“. Das ist ein großes Problem. In der Familienberatung kommt dann das große Aha-Erlebnis bei den Frauen, wenn wir sie mit dem Korantext konfrontieren. In dem Maße, wie Frauen hier mit dem Menschenbild des Korans vertraut werden, wächst ihre Fähigkeit, sich mit der Umgebung auseinander zu setzen, und nimmt die Tendenz zu Eigenmarginalisierung und pauschaler Ablehnung westlicher Lebensformen ab.

Können Sie diese Phobie verstehen?

Die Überheblichkeit des Westens gegenüber der Dritten Welt und speziell den Muslimen spielt eine Rolle. Da wird dann ein Unbehagen abgehandelt als „das ist nicht islamisch, das lehne ich ab“. Der Islam wird zum Vehikel, aber diesen Tendenzen müssen wir andere Gründe zuordnen. Ein empfundenes, aber nicht thematisiertes Ohnmachtsgefühl gegenüber Dominanz ist einer der Gründe. Aber die Gewalt ist nicht kultur- oder religionsspezifisch.

Sehen Sie Gewalt als männliches Problem?

Woran liegt es, dass Gewalttäter überwiegend Männer sind? Aber ich möchte differenzieren und die Trennung nicht zwischen männlich und weiblich legen, sondern zwischen patriarchal dominant und gerecht. Hier müssten sich die Frauen mehr solidarisieren.

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