bücher für randgruppen: Wissenswertes über Wolfsburg
Siedlung des Führers
Dem Volksempfänger ist die Entnazifizierung nicht geglückt. Er wurde zum Radio. Ganz anders erging es einem Automobil, dessen Name sich noch während der Nazidiktatur von KdF-Wagen zum Volkswagen verwandelte. Die Stadt, in der er konstruiert und gebaut wurde und noch wird, heißt Wolfsburg. Sie ist neben Salzgitter (ehedem Hermann-Göring-Stadt) eine Stadtgründung der Nazizeit. Da hieß sie noch umständlich „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“, nachdem der Grundstein des entsprechenden Autowerkes am 26. Mai 1938 gelegt worden war. Ein Provisorium, zu finden auf Landkarten der Vierzigerjahre und bei einigen wenigen Menschen sogar auf dem Personalausweis, nämlich als Geburtsort.
Hitler selbst wollte sich nach erfolgtem Endsieg daran machen, die Stadt zu benennen. Nach dem Krieg war sie jedenfalls für einige Monate namenlos und wurde mit Billigung der Engländer schließlich Wolfsburg getauft. Damit erfüllte sich Hitlers Wille, behaupten nun Gisela und Hans-Jörg Wohlfromm. Denn des Führers Deckname war „Wolf“ und ist schließlich und offensichtlich im Namen „Wolfsburg“ enthalten. „Nach Ihnen, mein Führer, soll die Stadt ‚Wolfsburg‘ heißen“, zitieren die Autoren als Beleg den Parteigenossen Robert Ley.
Das ist eine durchaus verwegene These. Schließlich steht mitten im Herzen der sich heute mit dem Attribut „Stadt im Grünen“ und einem schwimmbadähnlichen Kunstmuseum schmückenden Häuseransammlung das Schloss Wolfsburg, das allerdings schon seit mehreren Jahrhunderten (die erste urkundliche Erwähnung ist auf das Jahr 1302 datiert). Und so schwächen die Autoren ihre Vermutung auch etwas ab, wenn sie ein paar Seiten weiter fragen, ob der an Hitlers Pseudonym Wolf erinnernde Name von Schloss Wolfsburg zusätzlicher Anreiz gewesen sei, ausgerechnet an diesem Ort die „Siedlung des Führers“ zu errichten.
Klar, es entstehen schon sonderbare Assoziationen, wenn man bedenkt, dass der Geburtsort Hitlers Braunau heißt, er seine deutsche Staatsbürgerschaft ausgerechnet in Braunschweig erhielt, Braunhemden aufmarschieren ließ und sich schließlich – in wirklicher letzter Minute – mit einer Frau namens Eva Braun vermählte. Das gut ausgedachte Konzept eines Künstlers? Der Gröfaz jetzt, nach seinem späten Biografen-Outing als Homoerot, auch noch als durchgeknallter Vorläufer der Konzeptkunst der 70er-Jahre?
Natürlich hat es mich als gebürtigen Wolfsburger immer schon brennend interessiert, warum meine Eltern für mich nun ausgerechnet den Namen Wolfgang gewählt haben. Zum Glück konnte ein Anruf bei Edith Müller in Wolfsburg klären, dass ich jedenfalls nicht aufgrund der Stadt Wolfsburg meinen Namen erhielt, damit also nicht irgendwie versteckt Hitlers Decknamen mit mir herumtrage, sondern der Name damals einfach irgendwie gefiel. Er zählte zumindest in den späten 50er-Jahren zu den beliebtesten männlichen Vornamen, aus welchen Gründen auch immer.
Wie nun die erfolglosen Versuche, nach dem Vorbild des Bismarckherings diverse Lebensmittel nach Hitler zu benennen, zu bewerten sind, ist vielleicht auch letztlich nicht eindeutig zu beantworten. Immerhin gab es beispielsweise eine Adolf-Hitler-Schokoladentorte, die ein nationalsozialistischer Bäcker kreierte, und eine Rosenzüchtung, die schließlich ausgerechnet in Wolfsburg auf fruchtbaren Boden fiel.
Die Autoren tragen auf alle Fälle eine ganze Menge Material über die eigenartige Stadt zusammen, in der die Kontinuität des alten Systems bis hin in die Nachkriegszeit ersichtlich wird. Am Stadtteil Rabenberg spüren sie sogar zwei Hochhäuser auf, deren Grundriss die Form eines Hakenkreuzes aufweist. Zufall oder Absicht? Oder der Freud’sche Versprecher eines entnazifizierten Architekten?
WOLFGANG MÜLLER
Hans-J. Wohlfromm/Gisela Wohlfromm: „Deckname Wolf – Hitlers letzter Sieg“. edition q, Berlin 2001, 415 Seiten, 48 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen