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Öffnen, nicht einigeln

Kulturpolitik: Schauspielhaus-Chefdramaturg Michael Eberth über Kultur in unsicherer Zeit  ■ Von Petra Schellen

Es hat ein bisschen gedauert, aber Ole von Beust hat gelernt: Gelernt, dass er bei der Besetzung des Kultursenator-Postens vielleicht doch Beratung braucht. Mit den Staatstheater-Intendanten hat er bereits gesprochen, ist auch auf Jürgen Flimms Beratungsangebot endlich eingegangen, um herauszukommen aus dem Glimmer der Besetzungs-Soap der letzten Wochen. Ein prä-senatorisches Warten auf Godot-Spiel, das – trotz gegenteiliger Bekundungen – wohl Symptom der kulturellen Verfasstheit der Beustschen Mannschaft ist.

„Dieser Senat hat sich ja bislang im Wesentlichen durch seine Maßnahmen in puncto Innere Sicherheit positioniert“, sagt dazu Schauspielhaus-Chefdramaturg Michael Eberth. „Das Markanteste ist die verstärkte Polizeipräsenz – eine kosmetische Maßnahme, die Ausdruck eines starken Label-Denkens ist.“ Nicht überraschend findet er deshalb, dass auch andere Randgruppen, Obdachlose etwa, vom Rechtsblock als Störung des allgemeinen Wohlbefindens verstanden werden. „Die Bettler, Symbol für die an den Rändern unserer Gesellschaft grassierende Armut, sollen aus dem Blickfeld verschwinden, und damit glaubt man das Problem gelöst zu haben.“

Ausdruck der Sehnsucht nach dem makellosen Etikett, dem schönen Schein, waren auch die bisherigen Kultursenatoren-Vorschläge: „Die bisher präsentierte Auswahl zeugt von keinerlei Konzept. Denn als schicker Sticker eignet sich Kultur nicht. Im Gegenteil: Kultur ist gerade jetzt, nach dem 11. September und auch nach dem Hamburger Wahlergebnis, besonders nötig, um sich dem Thema „Innere Sicherheit“ aus anderer Richtung zu nähern. Denn das New Yorker Attentat war ja auch ein Anschlag auf die Innere Sicherheit in unseren Köpfen: auf die trügerische Ge-wissheit, dass unsere westliche Zivilisation die allein seligmachende ist. Diese Einbildung hat uns das Gefühl einer äußeren Sicherheit suggeriert – und dieses Gefühl ist uns auf drastische Weise abhanden gekommen“, sagt Eberth.

Eine Tatsache, die ein Überdenken auch der eigenen „Gewissheiten“ erfordert. „Theater kann wichtiger Schutzraum für solche Diskussionen sein. Und für die ungewohnte Einfühlung in die Verunsicherung, die die Bewohner anderer Weltregionen täglich empfinden. „Das heißt auch, dass wir die andere Perspektive der zu kurz Gekommenen stärker zur Kenntnis nehmen müssen.“

Wieder Gedanken, denen Theater Raum bieten kann, nicht aber ein Gemeinwesen, das Raser schützt und Bettler von der Straße saugt. „Natürlich kann Theater nicht all jene erreichen, die in diesem Punkt Lernbedarf haben“, weiß Eberth. „Wir können das falsche Denken entlarven, aber wir können niemandem ein anderes Denken verordnen. Wir können in dieser Hinsicht nur Angebote machen. Zur Umkehr verführen.“

Dass, um dieses Kunstverständnis zu verteidigen, eine Kämpferpersönlichkeit in den Senat gehört, steht für Eberth fest. „Dieser Job stellt eine enorme Herausforderung dar. Ich wünschte mir jemanden, der Konzepte entwickelt und sich mit dem Senat darüber verständigt, was in vier Jahren machbar ist.“ Dass die Kulturlandschaft neu geordnet gehört, glaubt Eberth indessen nicht. „Dafür brauchen wir keinen Senator – und dadurch, dass das Schauspielhaus derzeit als Buhmann fungiert, ist ja auch eine Art Ordnung entstanden.“

Womit er den Vorwurf der Unausgewogenheit des Schauspielhaus-Programms nicht vom Tisch wischen will: „Dass wir die älteren Zuschauer stärker da abholen müssen, wo sie sich's bequem gemacht haben, gebe ich zu.“ Vermittlung sei nötig – und die Bereitschaft, veränderte Sehgewohnheiten zu akzeptieren. „Wir müssen der trügerischen Inneren Sicherheit, die in den politischen Kreisen zum neuen Fetisch geworden ist, der mit Mauern und Polizisten verteidigt werden soll, ein Projekt gegenüberstellen, das aus den jüngsten Erschütterungen den Schluss zieht, dass wir uns gerade jetzt nicht einigeln dürfen, sondern uns dem Fremden öffnen müssen. Dem Projekt Abschottung sollte ein Projekt Öffnung gegenüberstehen.“

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