: Wechselstrom im Heldensaal
Das Kölner Museum Ludwig feiert seine Wiedereröffnung unbescheiden mit einem „Museum der Wünsche“, das auf Lücken der prominenten Sammlung hinweisen soll. Mit dem neuen Direktor, Kasper König, kann sich auch die ortsansässige Kulturpolitik anfreunden, denn „der Kasper macht das schon“
von STEFAN KOLDEHOFF
Aus der Ruhe ließ sich die Kölner Kulturdezernentin schon vorher kaum bringen. Seit aber feststand, dass der spektakulärste Coup ihrer politischen Laufbahn, die Verpflichtung von Kasper König als neuem Direktor des Museum Ludwig, gelingen würde, schien die blondgelockte Aachenerin geradezu in Eintracht mit sich selbst. „Der Kasper macht das schon“, antwortete Marie Hüllenkremer mit sanftem Lächeln jedem, der nach dem versprochenen Ankaufsetat in Höhe von drei Millionen Mark jährlich fragte. „Der Kasper macht das schon“, bekam zu hören, wer sich nach dem geplanten Umbau der düsteren Eingangshalle durch Rem Koolhaas erkundigte; „der Kasper macht das schon“ erfuhr, wer wissen wollte, was sich denn nun im angeschlagenen Museum Ludwig verändern werde, nachdem es in den vergangenen Jahren vor allem durch spektakuläre Ausstellungsübernahmen geglänzt hatte – und weniger durch ambitionierte eigene Projekte.
Fast unbegrenzt schien in den vergangenen Monaten der Vertrauensvorschuss, den Köln seinem neuen König entgegenbrachte. Seit wenigen Tagen steht fest, dass er und sein Team die Erwartungen nicht enttäuscht, sondern übertroffen haben. Das schläfrige Museum Ludwig lebt wieder. Pünktlich zur Kunstmesse „art cologne“ präsentiert der neue Direktor seit letztem Wochenende seine Sicht der Kunst im 20. Jahrhundert mit den Mitteln der noch immer fulminanten Sammlung des Museum Ludwig. Die neue Hängung benutzt er zur Vorausschau und zum Appell an potenzielle Geldgeber – eben als Wunschzettel. In die Sammlung des Museum Ludwig wurden Werke oder Werkgruppen von 65 Künstlern integriert, die der Direktor und sein Team als das „Museum unserer Wünsche“ gern anschaffen würden. Die ersten der als jährlich vereinbarten drei Millionen Mark standen ihnen dafür bereits zur Verfügung: die erste aus der Stadtkasse, die zweite aus den Erträgen der Ludwig-Stiftung, die dritte sammelte der Direktor selbst, wie versprochen, bei Sponsoren. 16 Wunschmuseumswerke sind deshalb schon nicht mehr durch silberne Wunschkärtchen, sondern durch goldene Ankaufszettel markiert.
Das Erstaunlichste an dieser Zusammenstellung sind die bewusst gemachten Lücken im bisherigen Museumsbestand. Hans Haackes historisches „Manet-Projekt ’74“ etwa, mit dem der Kölner damals den Ankauf eines „Spargelstilllebens“ von Manet kommentierte, indem er die NS-Vergangenheit des Kuratoriumsvorsitzenden des Wallraf-Richartz-Museums, Hermann Josef Abs, dokumentierte, gehört inzwischen einem belgischen Sammler. 1974 durfte Haacke die Arbeit in der Kölner Ausstellung „Projekt ’74“ nicht zeigen, nun soll sie fest in den Museumsbestand übergehen. Martin Kippenberger war im wichtigsten Museum seiner Wahlheimat ebenso wenig vertreten: König kaufte nun seinen „Sozialkistentransporter“ aus der Hamburger Sammlung Falkenberg an und kontrastierte ihn wunderbar mit einer Wand voller Kippenberger- Plakate, die dessen Galeristin Gisela Capitain nach wie vor für unter 100 Mark verkauft.
Aber auch On Kawaras Datumsbilder fehlen, Werke von Marcel Broodthaers, Ed Ruscha, Carsten Höller, Rosemarie Trockel oder Jeff Wall. Gerade im Fotobereich zeigt der Wunschzettel deutlich die Handschrift von Kurator Thomas Weski, der als ausgewiesener Foto- und Videofachmann aus Hannover nach Köln kam. Bislang sonnte sich das Museum Ludwig in diesem Bereich vor allem im Glanz der immer wieder in neuen Zusammenhängen ausgestellten Sammlung von L. Fritz Gruber – die im Wesentlichen Werke jener Künstler enthielt, die von Gruber auf der von ihm gegründeten photokina gezeigt werden wollten. Nun soll die Fotografie der Gegenwart hinzukommen: Struth und Gursky, Baldessari und Dijkstra, Friedlander, Levine und Sherman stehen auf der Wunschliste.
Lücken werden bleiben: Das Informel und die in der DDR entstandene Kunst finden in Köln kaum statt, Beuys belässt man den Museumskollegen im benachbarten Düsseldorf. All das stört aber nicht: Auf Vollständigkeit konnte die Sammlung Ludwig als Ausdruck des subjektiven Geschmacks eines Privatsammlers nie angelegt sein; sie wird es auch nach ihrem Übergang in öffentlichen Besitz so bald nicht werden.
Für die Neueinrichtung stellte König das Museum Ludwig vom Kopf auf die Füße und definierte den Bauch neu. Hing das Kernstück der Sammlung Ludwig, die weltberühmte Pop-Art-Sammlung, bislang unter dem Dach, so gehört ihr nun das großzügige Tiefparterre. Mit Nam June Paiks Videoversion des Brandenburger Tors beginnt ein Parcours durch die Kunst der Nachkriegszeit. Warhol, Rauschenberg, Oldenburg, Johns und Lichtenstein hängen über- und untereinander und vermitteln so wieder jene Kraft und jenen Spaß, die sie in Köln durch ihre Musealisierung verloren zu haben schienen.
Die Lust an Bildern, Skulpturen, Fotos und Videos, die sich Kasper König trotz vieler Jahre im Kunstzirkus nicht hat nehmen lassen, spricht aus beinahe jedem Raum seiner neuen Hängung. Aus dem ehemaligen „Heldensaal“ und einem großen Kellerraum sind die Flächen „AC“ (Wechselstrom) und „DC“ (Gleichstrom) geworden. Kasper König greift hier zu Mitteln, mit denen er bereits im Frankfurter Portikus erfolgreich war, er schuf Platz für kleine, kabinettartige aktuelle Kunstprojekte und stellt dennoch klar: „Wir sind keine Kunsthalle, kein Kunstverein, sondern ein Museum. Und wir wollen unser Publikum weder bevormunden noch unterschätzen.“
Entsprechend programmatisch bespielen den einen Raum Thomas Bayrle mit seinem riesigen, fraktalisierten Flugzeugbild und Bodys Isez Kingelez mit einer eigens dafür entstandenen dreidimensionalen Vision von einem Köln aus Wolkenkratzern. Im Keller dagegen ergänzen sich als Wechselstrom eine Selbstbespiegelungsinstallation von Isa Genzken und ein riesiges Bühnenfoto von Wolfgang Tillmans.
Selbst Ludwigs Picasso-Sammlung, die nun im Mittelgeschoss in den ehemaligen Sälen der Barockmeister hängt, wirkt kohärenter, als sie es je war: Das Konvolut weist gravierende Lücken im Frühwerk auf, hat fast keine Werke der blauen, rosa, kubistischen und klassischen Periode und versucht, diese eklatante Schwäche durch die Masse der Werke aus dem häufig redundanten Spätwerk zu kaschieren. Königs Entscheidung, den Umfang dieses Museums im Museum nach einem halben Jahr zu reduzieren, war deshalb klug.
Gegenüber bilden die lebendig arrangierte Expressionistensammlung Haubrich und spätere Stiftungen einen neuen Höhepunkt. Indem zahlreiche Werke aus dem Depot in die Schausäle zurückgeholt wurden, kann das Museum Ludwig nun beispielsweise mit einem prächtigen Beckmann-Saal glänzen, den es vor allem dem Legat Lilly von Schnitzlers verdankt. Neun Beckmann-Bilder mussten die vergangenen 20 Jahre allerdings im Lagerraum verbringen – sie galten offenbar als zu alt fürs Museum Ludwig.
In dessen Mitteletage sollen künftig die Wechselausstellungen gezeigt werden. Vor allem dort wird sich dann erweisen, wie lebendig das reanimierte Museum Ludwig in Zukunft bleiben wird. Die Weichen sind bereits gestellt: Im kommenden Frühjahr soll das neue Foyer fertig sein, dann wird ein zusätzlicher Eingang zur Verfügung stehen. „Den Dom nebenan besuchen täglich 28.000 Menschen“, erzählt Kasper König und grinst zerknautscht. „Ich habe mit der Dombaumeisterin gesprochen: Sie hat großes Interesse daran, dass wir das Gebäude von einigen davon entlasten.“
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