: Sex mit der Topfpflanze
Auf der Flucht vor dem Schmerz: Die Münchner Kammerspiele haben sich der „4.48 Psychose“ der englischen Selbstmord-Poetin Sarah Kane angenommen. Doch die Inszenierung berührt nicht
von SABINE LEUCHT
Wenn es stürmt draußen vor dem Theater, scheint der Tag wie geschaffen für eine Sarah-Kane-Premiere. Doch dann wird drinnen, hinter den kahlen, kühlen Mauern im „Neuen Haus“ der Münchner Kammerspiele, nur Staub aufgewirbelt. Das Tosen des Temperaments und das Frösteln im Gemüt bleiben ausgesperrt. Stattdessen: Textaufsagetheater mit Tanzeinlagen.
Die Schlechtwetter-Poetin der englischen Dramatik hat mit „4.48 Psychose“ ein Vermächtnis hinterlassen: Ein hochpersönliches Selbstmordpoem, entstanden nur Wochen bevor sich die 28-Jährige im Februar 1999 in einem Londoner Hospital erhängte. Dass die magische Uhrzeit 4.48 Uhr dabei eine Rolle spielte, darf angenommen werden. Seither werden auch Sarah Kanes ältere Stücke gerne als Ausstülpungen einer gepeinigten Seele betrachtet: Die Splatterszenen in ihrem Erstling „Blasted“ („Zerbombt“), die bei der Londoner Uraufführung für einen Eklat sorgten, erscheinen wie die abgeschnittenen Genitalien in „Gesäubert“ nach Kanes Freitod in versöhnlicherem Licht. Wie es in „4.48 Psychose“ nicht unwidersprochen heißt: „Sie können nichts dafür. Sie sind krank.“
Leicht ist es dem Theater seither geworden, Kanes verstörende Weltanklagen wegzurücken ins Erträgliche, das mich nicht betrifft. Und womöglich leichter noch, wie „Gier“-Übersetzer Marius von Mayenburg einst warnte, sie als „Lady Di für Intellektuelle“ zu vereinnahmen. „Sie werden mich lieben für das, was mich zerstört / das Schwert in meinen Träumen / den Staub meiner Gedanken / die Krankheit ausgebrütet in den Windungen meines Geistes. / Jeder Zuspruch raubt mir ein Stück meiner Seele.“ Dies schreibt Kane in „Psychose“, und wenn wir die Hellsichtige hier über ihren ungeliebten Erfolg zu sprechen hören meinen, dann sind wir schon mittendrin im Problem der Trennung von Autor und Werk.
Das Theater geht hier am ehesten auf Nummer sicher, wenn es sich jeder Individualisierung der Stimmen und Figuren enthält. Eine Inszenierung voller Eindringlichkeit ist Martin Kusej in Stuttgart gelungen, der das Personal von „Gesäubert“ zur Tötungsmaschinerie zusammenschraubte, und auch von einer streng chorischen „Crave“-Aufführung in Dresden hat man Gutes gehört. Gegen die platte Darstellung des Schrecklichen und das Herausschreien der Angst sind wir Fernseher schließlich längst immun.
Nun ist „Crave“ wohl der durchkomponierteste Kane-Text: Rhythmische Sätze auf vier Stimmen verteilt; die Handlung, hat sich in die Köpfe zurückgezogen: Von Sehnsucht zerfressene Seelen statt aufgefressener Babys. In „4.48 Psychose“ geht dieser Rückzug weiter und lässt von den Seelen kaum etwas übrig außer der Sehnsucht nach dem Tod. Eine lange, bald klinisch präzise, bald dunkel euphorische Sterbe-Litanei strömt aus einer einzigen unbenannten Quelle, dialogische Anklänge dürften kaum mehr als Selbstgespräche meinen. Doch wenn man nach der von Thirza Bruncken besorgten deutschen Erstaufführung durch Durs Grünbeins Übersetzung blättert, fragt man sich, wohin die Poesie entschwunden ist, die Grausamkeit und die Schärfe, sofern sie die Strichfassung noch passieren konnten. Bruncken scheint vor all dem ständig auf der Flucht zu sein, wollte sich offenbar weder zu einer strengen Formalisierung durchringen, noch kann sie mit den fünf Figuren etwas anfangen, die sie aus dem Text destilliert hat: Die haben auf einer kotzgrün-lachsfarben geblümten Bühne mit vielen Steigungen und spitzen Winkeln (Robert Ebeling) einen Spielplatz zur Verfügung, auf dem man gut die Wände hochgehen kann. Auf der einzig ebenen Fläche steht eine traurige Topfpflanze, die der einzige Mann auf der Bühne später zu rammeln versucht.
Wohl um auch Kanes Humor zum Klingen zu bringen, tanzen und hüpfen die fünf immer wieder linkisch zu Heimatgejodel, zu Schlager und Jazzigem. Und einmal fassen sich alle beim Sprechen gegenseitig an die Nase und halten sich so fest. Das ergibt eine hübsch bucklige Menschenkörperkonstellation, bleibt aber ebenso beliebige Theateranstrengung wie der eineinhalbstündige Rest.
Ach ja: Drei der vier Frauen sehen aus wie Lady-Di-Variationen. Sie tragen brave Kostümchen in tristem Senf, Hellgrau und Rosa, das halblange Haar eingedreht, hochgesteckt oder glatt gebügelt. Ihre Sätze bringen sie ohne Betonung, aber mit Nachdruck heraus, und versammeln sich zwischendurch kükenhaft giggelnd wie zum fröhlichen Geheimnisteilen – die nackten Beine zum Einigeln an den Bauch gezogen.
Dieser Rückzug in die Präpubertät macht für Momente sogar Sinn. Haben doch der verhärmte Hans Kremer und die matronenhafte Marion Breckwoldt den Spielplatz der Mädchen eingenommen, ohne anzuklopfen: Seelenräuber, die mit immer gleichen Fragen löchern und verletzen. Doch warum tut nichts weh? Aber auch gar nichts.
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