: Wohnen in Gülle
■ 90 Quadratmeter auf zwei Ebenen: Aus Jauchetanks werden Wohnprojekte gemacht Von Stefan Fuhr
Wo einst wabernde Jauche Blasen warf, macht es sich Hartmut Stahlberg am Holzkohle-Ofen gemütlich. An den Wänden – früher mit Hühnermist verklebt – hängen jetzt abstrakte Bilder und Radierungen. Freizeit-Künstler Stahlberg schätzt das inspirierende Ambiente. Seine Wochenenden verbringt der 63-Jährige in einem ehemaligen Gülletank im Dörfchen Blunk, nicht weit von Bad Segeberg entfernt. Den grauen Betonbau hat sich Stahlberg zu einem schicken Bungalow umbauen lassen: 90 Quadratmeter Wohnfläche auf zwei Ebenen. Durch eine gläserne Viertelpyramide auf dem Dach dringt helles Tageslicht in den Raum.
Leer stehende Gülletanks – Überbleibsel aufgegebener Bauernhöfe – sind im Kreis Segeberg weit verbreitet. „Viele landwirtschaftliche Familienbetriebe muss-ten schließen, weil sie einfach nicht mehr überlebensfähig waren“, erläutert der Kieler Ingenieur David Simon vom Projektzentrum 99, der Stahlbergs umfunktionierten Jauche-Speicher entworfen hat. Die nun „brachliegende Bausubstanz“ versteht er als architektonische Herausforderung.
Derzeit entwickelt Simon gemeinsam mit Kollegen und Architektur-Studenten der Fachhochschule Eckernförde Umbau-Konzepte für zehn weitere Gülletanks. Das „Gülle-Projekt“ wird vom Kreis Segeberg getragen und vom schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministerium gefördert. Denn in der relativ strukturschwachen Region – vom Absterben kleiner und mittelgroßer Bauernhöfe gebeutelt – sind neue Perspektiven gefragt.
„Aus den Gülletanks lässt sich alles Mögliche machen“, ist David Simon überzeugt: Etwa Werkstätten für Kleinbetriebe, Ferienhäuschen, Saunen oder Schwimmbäder. Schmucke Wohnungen nach dem Vorbild des Stahlbergschen Heims lassen sich indes nicht immer realisieren. Denn häufig liegen die Tanks weitab von Siedlungsgebieten. Dort verbieten bürokratische Auflagen den Bau von Wohngebäuden.
Im Kieler Ministerium für Landwirtschaft sind die zuständigen Sachbearbeiter schon gespannt, welche ausgefallenen Lösungen das Architekten-Team präsentieren wird. „Leer stehende Gebäude auf dem Land haben durchaus Potenzial, das sich kreativ nutzen lässt“, meint Ministeriums-Referent Hans Josef Thoben. Gerade die touristische Nutzung der ausgedienten Jauche-Speicher sei eine ungewöhnliche Vorstellung, die sich mit einem „geschickten Marketing“ umsetzen lasse.
Praktisch gesehen ist der Umbau der Mist-Behälter für die Architekten unproblematisch. So war der strenge Geruch aus Stahlbergs Tank im Handumdrehen vertrieben. „Ich selbst war überrascht“, gesteht Simon, „mit einem Dampfstrahl haben wir die Wände abgespritzt und alles war sauber“. Der Beton – ein sehr schlecht isolierendes Material – musste auf der Innenseite des Baus durch eine Extra-Wand verstärkt werden Die Kosten des gesamten Umbaus beliefen sich auf knapp 200 000 Mark (102 000 Euro).
Als Stahlberg, der in der mecklenburgischen Landeshauptstadt Schwerin arbeitet, den umgebauten Gülletank gleich hinter dem Haus seines Sohnes erstmals betrat, war er überwältigt. Die Atmosphäre sei sehr beruhigend. Wenn der 63-Jährige den Kopf hebt, sieht er durch das Glasdach die Baumwipfel.
Und bei schönem Wetter sitzt er auf der 40 Quadratmeter großen Dachterrasse. Den grauen Rundbau – jahrelang ein miefender Fäkalien- Bunker – umweht nun ein fast spiritueller Hauch: „Die Architektur“, sagt Stahlberg, „erinnert an einen alten Tempel“.“
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