: Putin kommt als Paulus zu Bush
Russlands Präsident Putin ist auf Staatsbesuch in den USA. Fest steht er zur Anti-Terror-Allianz. Das heimische Polit-Establishment und das Militär sind irritiert. Beide hoffen entweder auf Gegenleistungen oder die Undankbarkeit des Westens
MOSKAU taz ■ Gefühlsselige Gesten und warme Worte begleiten seit dem 11. September die russisch-amerikanischen Beziehungen. Mit seinem ersten Staatsbesuch in den USA, den Russlands Präsident Wladimir Putin gestern antrat, will er seinen Wandel vom vermeintlichen Saulus zum hofierten und gefeierten Paulus noch stärker zementieren.
Der Schwenk Putins nach Westen sorgt unterdessen daheim für Irritationen. Russlands politische Elite, die ihre Identität seit Jahrzehnten aus Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber den USA schöpfte, tut sich nicht nur schwer mit der Kurskorrektur, sie hat die Orientierung verloren. Das immer noch stark ausgeprägte Autoritätsverhältnis zur Macht in Russland verbietet ihr indes, den Unmut deutlich zur Schau zu stellen.
Mit dem Beitritt zur Anti-Terror-Allianz hat Kremlchef Putin das traditionelle russische Konsensprinzip angewandt. Jede Entscheidung muss nach außen als einstimmige Übereinkunft erscheinen. Wer sich dennoch nicht breitklopfen lässt, der verlässt bewusst den Zirkel der Macht. Als Putin seiner Entourage im Oktober erklärte, Russland suche den Schulterschluss mit dem Westen, standen alle Gewehr bei Fuß. Verteidigungsminster Sergej Iwanow, der zuvor noch eine Kooperation in Zentralasien ausgeschlossen hatte, und so mancher Militär wird sich innerlich bereits auf den Ruhestand eingestellt haben.
Der eilfertige Gehorsam heißt indes nicht, dass die Kritik an dem Westkurs ein für allemal vom Tisch ist. Zu einschneidend sind die Veränderungen für weite Teile des Establishments.
Daher wird genau registriert, welche konkreten Zugeständnisse Putin vom Gipfeltreffen mit US-Präsident Bush zurückbringt. Wenn das Haus des Nachbarn brennt, eilt man ihm zu Hilfe, ohne gleich nach Belohnung zu fragen, so ein Außenpolitiker. Es sei doch aber selbstverständlich, dass ein „zivilisierter“ Nachbar sich nach Beseitigung des Schadens erkenntlich zeige.
Die Gegner des Westkurses bauen ihrerseits auch auf den Westen. Sie hoffen nämlich, die Bereitschaft sich mit Russland kurzzuschließen sei nur vorübergehend und entspringe einem taktischen Kalkül. Russland werde wieder fallen gelassen, sobald dessen Hilfe nicht mehr nötig sei. Unterschwellig erinnern sie an Putins Vorgänger Michail Gorbatschow und Boris Jelzin, die naiv Vorleistungen erbrachthätten, ohne Forderungen zu stellen. Dankbarkeit kenne man im Westen, wo Interessen regieren, schließlich nicht.
In der Tat besteht die Gefahr, dass der Richtungswechsel des Kreml nicht als strategische Entscheidung, die sie ist, gewürdigt wird. Angesichts des Krieges in Afghanistan und den Schwierigkeiten im Umgang mit der islamischen Welt, müsste inzwischen begriffen worden sein, dass Russland dem Westen nähersteht, als bisher angenommen und die Probleme mit diesem Nachbarn im Vergleich marginal ausfallen.
Auf dem Gipfel werden sich die USA und Russland hinsichtlich des ABM-Vertrags und des NMD-Raketenabwehrprogramms voraussichtlich auf einen Kompromiss einigen. Wichtiger scheint aus russischer Sicht indes das weitere Verhältnis zur Nato. Moskau hofft, mit eigener Stimme in ein gemeinsames Sicherheitssystem eingebaut und nicht nur mit einer konsultativen Rolle abgespeist zu werden.
Auch geopolitisch muss für die Zeit nach dem Krieg in Afghanistan Vorsorge getroffen werden. Sind die USA willens, Russland in Zentralasien die Rolle eines Ordnungsfaktors zuzugestehen oder wird das – auch für die Region – schädliche Nullsummenspiel um Einfluss fortgesetzt? Daran wird sich zeigen, ob Jalta der Geschichte angehört und Kabul ein neues Kapitel eröffnet. KLAUS-HELGE DONATH
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