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Pagentorns Spuren verschwinden langsam

■ Der letzte Pagentorner Bauernhof soll einem Neubau weichen. Parzellen in der Wisch sind vorerst gerettet. Anwohner fordern Erlebnisgarten statt Nachverdichtung

Diesmal konnte nicht einmal der König von England mehr helfen: Der traditionsreiche Wischhof an der Schaumburger Straße (Östliche Vorstadt) wird abgerissen. Die Pläne für die Neubebauung des Geländes liegen schon in den Schubladen.

Noch 1732 war ein Bauer namens Johann Freese aus der Pagentorner Feldmark, damals vor den Toren Bremens, bis an den Hof Georgs II nach London gereist, um die ihm wegen Misswirtschaft drohende „Abmeierung“, sprich: die Aberkennung des Hofes, mit einem Gnadengesuch zu verhindern. Ohne Erfolg zwar, aber Dank der Unterstützung der Bauernschaft und des Bremer Rats bekam sein Stiefsohn Hinrich Lampe immerhin gut die Hälfte des Hofes zugesprochen.

Der seit 1694 nachgewiesene Wischhof ist der letzte von einst elf Pagentorner Höfen. Die mittelalterliche Bauernsiedlung vor den äußersten Festungsanlagen Bremens ging erst im 19. Jahrhundert in der ausufernden Stadt auf. 1850 wurde das durch Blitzschlag zerstörte Wischhof-Bauernhaus neu aufgebaut und noch bis in den Zweiten Weltkrieg hinein bewirtschaftet. Zuletzt wohnte hier die Bremer Heimatforscherin Hanna Lampe, die, wie es in einem Nachruf heißt, „das geliebte Anwesen über die schwierigen Zeitläufte hinwegrettete“.

„Man kann ja keinem Menschen verwehren, da sein Geld mit zu machen“, meint Wolfgang Künning. Der Leiter des Schulzentrums Schaumburger Straße hat kein Problem mit dem Abriss des 150 Jahre alten Bauernhauses gegenüber seiner Schule. Auf dem Gelände will eine Bremer Immobilienfirma mit Unterstützung des Senats 30 Wohneinheiten errichten. „Blockrandbebauung“ sieht der Entwurf des neuen Bebauungsplans hier vor, dem die Baudeputation jetzt zugestimmt hat. Danach soll der unbefestigte Fußweg In der Wisch zu einer Straße „mit geringstmöglicher Verkehrsbreite“ ausgebaut und die angrenzenden Grundstücke zur „dreigeschossigen Bauzone in offener Bauweise“ werden.

„Schrecklich“, meint eine Lehrerin, als sie von den Plänen erfährt: „Dann ist hier überhaupt nichts mehr an Grünfläche.“ Eine ältere Passantin stimmt ihr zu. Nur gegen den Ausbau des Weges hätte sie nichts: „Gut, wenn man hier nicht immer im Matsch laufen muss.“

Schulleiter Künning treiben indessen ganz andere Sorgen um. Bei einer Grundwasserabsenkung, etwa zum Bau einer Tiefgarage unter dem Wohnblock, sieht er seine Schule in den Grundfesten wanken. „Für unsere Bausubstanz kann das sehr gefährlich werden.“ Während Künning den Ausbau des Weges In der Wisch zur Bauzufahrt fordert, damit nicht Betonmischer die Rettungszufahrt zur Schule versperren, wollen Anwohner genau das verhindern: Der autofreie Trampelpfad zwischen Getekamp und Schaumburger Straße sei ein sicherer Schulweg. Gegen das Mehr an Autos durch die neuen Wohnungen fordern sie Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung.

Mehr Wellen noch als der Abriss des alten Hofes schlug der Vorschlag der Senatsverwaltung, auch das nördlich des Weges In der Wisch liegende Parzellengrundstück mit Wohnungen zu bebauen. Das zur Zeit an Privatpersonen verpachtete Grabeland gehört der Stadt und war ursprünglich für eine Erweiterung des benachbarten Schulzentrums vorgesehen. Obwohl die Pläne noch gar nicht öffentlich gemacht wurden, wandte sich der Elternbeirat der nahe liegenden Grundschule Stader Straße bereits an Bildungssenator Willi Lemke (SPD): Die Grundschule nutzt einen Teil des Parzellengebietes als Schulgarten. Die Baudeputation nahm das Parzellengrundstück aus dem neuen Bebauungsplan schließlich heraus.

Ganz andere Pläne für die Wildwuchszone hingegen hat eine eilig gegründete Anwohnerinitiative: Das dornenumwucherte Grabeland soll zum parkartigen Erlebnisgarten für die Bewohner des Quartiers werden. hoi

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