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Nur im Reden anderer anwesend

Mit Musik von „Kante“: Matthias von Hartz inszeniert „A. ist eine Andere“ am Schauspielhaus  ■ Von Barbara Schulz

„Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir alle nur zwei Stunden leben, wie im Kino“, sagt A. Sie ist eine junge Frau voller verrückter Träume, die mit dem erfolgreichen Architekten Gerd zusammen ist und ihre Liebe zu ihm – wie auch ihr Dasein überhaupt – fortwährend hinterfragt. Besser gesagt: Sie war mit Gerd zusammen und hat alles ständig hinterfragt. Denn nun ist A. verschwunden. Und alles deutet darauf hin, dass sie sich verbrannt hat; es werden nicht beendete Briefe und eine verkohlte Leiche gefunden.

A. ist eine Andere streift – wohl nicht von ungefähr – im Titel den vom strukturalistischen Psychoanalytiker Jacques Lacan aufgegriffenen Ausspruch Arthur Rimbauds „Ich ist ein Anderer“; das seiner selbst sichere, reflektierende Subjekt, lange die Kernkategorie der abendländischen Philosophie, sieht Lacan „im Brennpunkt einer Täuschung“, als durch eine Außenwahrnehmung bestimmt. Oder: Was (stabil) zu sein scheint, ist bei genauerer Betrachtung ganz anders.

Der häufig mit Falk Richter und Ute Rauwald in einem Atemzug genannte Jung-Regisseur Matthias von Hartz, der zuletzt durch seine Bühnenfassung von Sibylle Bergs morbid-lustigem Roman Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot Aufmerksamkeit erregte, richtet sein inszenatorisches Augenmerk weniger auf A.s Tod selbst, als vielmehr auf die Überlebenden und ihren Umgang mit dem Verlust. Er konzentriert das von Andreas Sauter und Bernhard Studlar geschriebene Stück somit auf die Gedanken, die sich die anderen um die abwesende A. machen – da wären neben Gerd noch Herwig alias Bongo, sein bester Kumpel, A.s Freundin Nina und A.s bonsaiverrückter Vater Joseph. Behutsam fließen die Gedanken der Figuren ineinander, bis A. selbst auch wieder auftritt.

Der sehr formal und teils recht verschachtelt daherkommende Text wird in einer Weise dargebracht, die man als eine „Quiet is the new loud“-Variante im Theater bezeichnen könnte. Aber Matthias von Hartz würde nicht mancherorts zur so genannten „Popriege“ des Re-gienachwuchses gezählt, wenn er sich da nicht noch etwas Besonderes ausgedacht hätte. Er lud die Hamburger Band Kante ein, deren Werk Zweilicht eine Lanze (nicht nur) für die Pop-Musik brach und einen allgemein als gelungen angesehenen Versuch darstellte, „das Spirituelle des Materials Musik freizusetzen“, wie es Sänger und Gitarrist Peter Thiessen einmal formulierte.

Kante fanden die Idee gut und machten sich flugs an die Komposition. Herausgekommen sind neun Stücke, die Kante in Vierer-Besetzung (Gitarre, Kontrabass, Klavier, Schlagzeug) spielen. Übrigens nicht ganz einfach, da Gitarrist Peter Thiessen ansonsten als Bassist bei Blumfeld seine Brötchen verdient und mit besagter Band bis Januar auf Tour ist. Und Felix Müller, der zweite Gitarrist, war zwischenzeitlich ebenfalls mit seiner anderen Band, Sport, unterwegs und kam erst kurz vor der Premiere zurück. Mit Andi Schoon, Gitarrist und Sänger der Hamburger Band Jullander, sprang für die Proben ein versierter Kollege ein, der aber bei den Aufführungen nicht mehr dabei sein wird. Was das Publikum mitbekommen könnte, denn die Band sitzt direkt im Bühnenbild und interagiert teilweise auch mit den SchauspielerInnen.

Die neun Kompositionen haben mal begleitenden, mal unterbrechenden Charakter: Dann stehen sie manchmal sehr präsent im Vordergrund, was der reduzierten Inszenierung gut tut. Denn durch die Musik gelingt es besser, ein vielschichtiges Bild der Empfindungen der ProtagonistInnen und ihrer Beziehungen zueinander aufzuzeigen.

Premiere: heute, 20 Uhr; weitere Vorstellungen: 24.11., 16., 17., 27. + 28.12., jeweils 20 Uhr, Schauspielhaus/Malersaal

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