: Die Wahrheit und die Fotoredaktion
Unsinn ist schwerer zu bebildern, als man denkt. Viel schwerer als Tiefsinn jedenfalls. Oder Nachrichten. Bei einem Text über Schröder kann man mit einem Foto von Schröder nichts verkehrt machen. Aber wie setzt man die Dämlichkeit des Angelsports ins Bild, ohne langweilig oder – noch schlimmer – „witzig“ zu werden? Noch dazu, wenn man nur ein honorarpflichtiges Foto pro Seite verwenden darf und ansonsten auf kostenfreies Agenturmaterial angewiesen ist? Da muss man ganz schön grübeln, und dann hat man endlich eine Bildidee.
Aber zwischen einer Bildidee und ihrer Realisierung steht die Fotoredaktion. Und die Fotoredaktion der taz ist streng, sehr streng. Was Bildideen aus der Redaktion betrifft und auch sonst. Könnte ja jeder kommen und bestimmen wollen. Diskussion zwecklos.
Kollegin Rönneburg und ich hatten dankenswerterweise einen Sonderstatus, ob aus Sympathie oder aus Resignation, weil bei der Wahrheit eben immer alles so zeitraubend kompliziert war, ist nicht einwandfrei zu entscheiden. Jedenfalls durften wir nach dem Schwur, nichts zu zerknautschen und immer alles wieder aufzuräumen, manchmal selber aussuchen. Ein echtes Privileg – andere Kollegen dürfen die Fotoredaktion nicht mal betreten.
In einem Fall verließen wir uns jedoch stets auf die Kolleginnen: beim Foto für den Text links oben auf der Seite, das „Oben“ eben. Eine kurze Meldung, ein einspaltiges Foto, da muss man pragmatisch sein. Und kann sich nicht mit langen Erklärungen aufhalten. Die telefonische Bestellpraxis dieser Fotos war deshalb von gut eingespielter Knappheit: „Brauche eine mürrische Nonne fürs Oben. Kostenlos.“ Oder: „Zwei Riesentitten fürs Oben. Können ruhig was kosten.“ – „Alles klar.“
Klasse. Meistens jedenfalls. Doch eine Geschichte über das „Oben“, eine Bildidee und die Fotoredaktion muss einfach erzählt werden. Die Meldung handelte von Orgien. Wir hatten beschlossen, konservativ, das heißt im klassisch-römischen Stil zu illustrieren: mit dem Foto von einem Henkel Trauben. Trauben, das weiß jeder, sind bei Orgien immer dabei. Die entsprechende Bestellung bei der Fotoredaktion lautete folgerichtig: „Wir brauchen fürs Oben einen Henkel Trauben. Kostenlos. Geht um Orgien.“ – „Alles klar.“
Sie kommen nie drauf, was wir statt der Trauben bekamen: eine Erdbeere. „Eine Erdbeere ist auch orgiastisch“, beschied uns die Fotoredakteurin überzeugt. Trauben habe sie ohnehin nicht.
Unterschiedlicher, das werden Sie zugeben, können Vorstellungen von Orgien nicht sein. Und Bildideen auch nicht. Diskussion zwecklos.
BARBARA HÄUSLER
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