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Schuldenerlass für Private

Ab Samstag gilt das Reformgesetz zur umstrittenen Insolvenzordnung: Staat stundet nun die Gerichtskosten. Schuldnerberater bleiben aber hoffnungslos überlastet

BERLIN taz ■ Frau Kowalsky* hat Schulden. Als sie vor sieben Jahren ihr kleines Geschäft zumachen musste, waren es 30.000 Mark. Heute ist die Summe durch Zinsen auf 60.000 DM angewachsen. Frau Kowalsky ist Sozialhilfeempfängerin und 50 Jahre alt. Im Grunde genommen hatte sie die Hoffnung längst aufgegeben, jemals wieder schuldenfrei zu leben. Bis sie irgendwann von einem neuen Gesetz hörte: der Insolvenzordnung.

Die Einführung des „Verbraucherkonkurses“ weckte in der Öffentlichkeit hohe Erwartungen. Seit 1999 soll er hoffnungslos überschuldeten Menschen einen finanziellen Neuanfang ermöglichen. Der Weg dahin ist allerdings lang und beschwerlich: Zunächst muss der Schuldner mit Hilfe einer Schuldnerberatungsstelle oder eines Rechtsanwalts versuchen, außergerichtlich eine Einigung mit seinen Gläubigern zu erzielen.

Gelingt dies nicht, dann muss ein Antrag bei Gericht gestellt werden. Dort wird ein zweiter Einigungsversuch mit den Gläubigern unternommen. Im Falle eines erneuten Scheiterns muss sich der Schuldner für die Dauer einer siebenjährigen „Wohlverhaltensperiode“ verpflichten, sich um zumutbare Arbeit zu bemühen und alle pfändbaren Einkünfte an einen Treuhänder abzuführen. Nur wenn er diesen „Obliegenheiten“ nachkommt, wird er nach Ablauf der sieben Jahre gerichtlich von allen noch offenen Schulden befreit.

Die GP-Forschungsgruppe geht von ungefähr 2,7 Millionen überschuldeten Haushalten in Deutschland aus. Dementsprechend rechnete man mit einem starken Ansturm auf die Gerichte. 170 000 Anträge pro Jahr wurden erwartet. Doch dazu kam es nicht. Selbst die höchsten Schätzwerte aus den ersten Jahren liegen bei 20.000 Anträgen. Das gesamte Verfahren erwies sich in der Praxis als viel zu kompliziert.

Das soll sich nun ändern. Ab heute ist das „Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung“ in Kraft. Eine der wichtigsten Neuregelungen betrifft die Finanzierung des Verfahrens. Bisher mussten die gesamten Gerichtskosten bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner beglichen werden. Die Kosten belaufen sich immerhin auf mindestens 2.500 Mark. Von nun an können diese Kosten vom Staat gestundet werden. Außerdem wird die „Wohlverhaltensperiode“ von sieben auf sechs Jahre verkürzt. Diese beiden Neuerungen sind aus Sicht der überschuldeten Personen und Familien zweifellos zu begrüßen.

Dennoch bleiben viele Probleme – zum Beispiel die chronische Unterfinanzierung der Schuldnerberatungsstellen. Nach Angaben der „Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände“ müssten für eine bedarfsgerechte Versorgung bundesweit 2.300 Schuldnerberater neu eingestellt werden. In Berlin muss man für eine Beratung inzwischen Wartezeiten von bis zu anderthalb Jahren in Kauf nehmen. In den anderen Bundesländern sieht die Lage größtenteils kaum besser aus.

Inzwischen gehört Frau Kowalsky zu den gerade mal achtzig Personen in Berlin, die es bis in die Wohlverhaltensperiode geschafft haben. Die geringe Zahl erscheint besonders dramatisch, weil Überschuldung in den seltensten Fällen isoliert auftritt. Arbeitslosigkeit, Krankheit und Suchtprobleme gehören nicht nur zu den häufigsten Auslösern, sondern auch zu den Folgen von Überschuldung. Am schlimmsten empfindet Frau Kowalsky allerdings die soziale Isolierung. „Auf einmal gehören Sie nicht mehr dazu.“ Derzeit plane sie ihren Umzug in ein anderes Stadtviertel. Sie ertrage es nicht mehr, jeden Tag Menschen auf der Straße zu begegnen, mit denen sie jahrelang zu tun hatte und die jetzt plötzlich so tun, als ob sie sie nicht sehen. JAKOB SCHLINK

*Name geändert

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