piwik no script img

Coolness und Weihrauch

Kunst als Liturgie: Den Versprechungen des Kunstbetriebs zog Paul Thek ein nomadisches Leben vor. Die Galerie Ascan Crone zeigt seine Arbeiten, in denen Mythos und Naturwissenschaft, Mythos und Agonie verschmelzen

Es war 1967, als der amerikanische Künstler Paul Thek ein paradox anmutendes Monument gegen seine Zeit errichtete – ein Denkmal, das den Betrachter nicht an die Vergangenheit erinnern, sondern die Zukunft vergessen lassen sollte. Das von ihm geschaffene Gebilde führte in eine innere Welt voller beklemmender Gegenwart, still wie ein Heiligtum und profan wie ein Schaubild in einem völkerkundlichen Museum. Sein Environment „The Tomb“, das in New York ausgestellt wurde, glich einer ägyptischen Totenkammer. Unter einer pinkfarbenen pyramidenförmigen Kuppel fand sich das auf dem Boden hingestreckte langhaarige Alter Ego des Künstlers, ein leichenhafter Abguß, dessen wächserne Fingerkuppen abgetrennt und in einen Beutel verschnürt waren, umgeben von Grabbeigaben und dem Duft von Weihrauch. Während die formale Coolness von Pop-Art und Minimalism den Kunstbetrieb der sechziger Jahre beherrschte, reagierte Thek mit einer magisch-sakral anmutenden Installation, die seine Ohnmacht angesichts einer zunehmend von Technokratie bestimmten Gesellschaft ausdrückte.

Die nun in der im Oktober eröffneten Berliner Niederlassung der renommierten Hamburger Galerie Ascan Crone gezeigten Skulpturen und Arbeiten auf Zeitungspapier geben einen Eindruck von Theks Schaffen in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren. Sie vermitteln eine fragmentarische Sicht auf das Werk eines beständig Zweifelnden, der, so der Kritiker Herbert Martin „eine der bekanntesten verlorenen Persönlichkeiten der Gegenwartskunst“ ist.

„Sie sind agnostisch. Sie führen nirgends wohin, außer vielleicht zu einer Art von Freiheit“ bemerkte der 1988 an den Folgen von Aids verstorbene Künstler in einem Interview mit Harald Szeemann zu den unzähligen Notizen, Skizzen und Tagebüchern, die er bis zu seinem Lebensende anfertigte. Diese Äußerung ließe sich auch auf die künstlerische Entwicklung des zutiefst vom Katholizismus geprägten Thek übertragen, der Kunst als Liturgie definierte, und der den Versprechungen des etablierten Kunstbetriebes ein nomadisches und von Kollaboration bestimmtes Leben vorzog. Die Wendung, die Theks Entwicklung 1967 mit „The Tomb“ nahm, war grundsätzlicher Natur. Mit der Abkehr von Amerika und der Hinwendung zu Europa, ließ er auch den konzeptionellen Ausgangspunkt seines von der Kritik gefeierten Frühwerkes hinter sich. Waren seine klinischen „Technological Reliquaries“ – in Plexiglaskästen eingelagerte, perfekt aus Wachs nachgebildete Fleischstücke – noch als statische, in sich abgeschlossene Arbeiten zu verstehen, deren kritischer Aspekt sich in der Reflexion der aktuellen Kunstströmungen begründete, zeugen die bei Crone gezeigten Exponate von einem universelleren Ansatz.

Die Evolution als „ work in progress“: Auf den mit rosaroter Dispersionsfarbe bedeckten Zeitungsseiten des „International Herald Tribune“ entfalten sich in filmartigen Sequenzen Kolosse der Urzeit. Die Glieder von Brontosauriern lösen sich aus durchbluteten Erdschichten wie zu Fleisch gewordener Lehm. Eine Welle scheint sich zu teilen, und gibt eine verhüllte Gestalt frei, hastige Schlieren, die an ein Heiligenbild erinnern könnten. Die Zeit der Welt verknappt sich in Bleistiftstrichen, die wie die Maßeinheiten eines imaginären Lineals die Entfernung zwischen Wolf und Schaf markieren. Schwärme von Fischen durchziehen wasserfarbene Wolken aus Türkis.

Die halluzinative und ironische Verschmelzung von Organischem mit Anorganischem, von Mythos und Naturwissenschaft, Eros und Agonie, die sich in Theks Skulpturen und Papierarbeiten vollzieht, findet ihre Entsprechung in der alchemistischen Verbindung von Malerei, Bildhauerei, Theater, Literatur, und Religion, die Thek in den siebziger Jahren verstärkt betrieb. Durch Europa reisend, begegnete Thek dem Werk von Joseph Beuys. Inspiriert von der Kollaboration mit dem Regisseur Robert Wilson schuf er gemeinsam mit der fluktuierenden Künstlergruppe Artist’s Co-op großräumige begehbare Assemblagen, die in Anlehnung an die arte povera mit jedem erdenklichen Hilfsmittel erstellt wurden: geliehenen Möbeln, vorgefundenen Objekten, Zeitungsseiten, Skulpturen, Ästen, Schutt. Mit diesen „Prozessionen“, wie Thek sie nannte, sollten temporäre Orte „der Ruhe und Verehrung“ geschaffen werden, Räume für Begegnung und spirituelle Reflexion, ähnlich einer Kommunion. Die Besucher sollten während ihres Weges durch das Environment so etwas wie eine archetypische Einweihung erfahren.

Die Forderung nach Eingliederung der Kunst in einen transzendenten heilenden Akt, der zu einer veränderten Wahrnehmung sozialer und politischer Realität führen sollte, der prozesshafte Charakter seiner Arbeiten, und seine kritische Haltung gegenüber Amerika, lassen Thek eine subversive Außenseiterposition in der Kunst dieser Jahre einnehmen. Wie einflussreich gerade sein Spätwerk war, verdeutlichte sich erst nach seinem Tod in den neunziger Jahren, als sein großenteils verschollenes und nur noch in Relikten und Fotografien zu rekonstruierendes Werk durch ein Essay des Kritikers Stuart Morgan eine weltweite Renaissance erfuhr. Heute gilt Thek als wieder entdeckter Einzelgänger des Kunstbetriebs, der die Arbeiten von Künstlern wie Mike Kelley, Paul Mc Carthy, oder auch die der von Crone vertretenen Deutschen Kai Althoff und Cosima von Bonin nachhaltig geprägt hat.

Obwohl Theks Schaffen bereits 1995 mit einer umfassenden Retrospektive in der Berliner Neuen Nationalgalerie gewürdigt wurde, ist er einem breiten Publikum noch immer unbekannt. Angesichts der Berliner Retrospektiven Christos und Warhols, mit denen sich eine umfassende Auseinandersetzung mit der Kunst der sechziger und siebziger Jahre verbindet, erscheint die Ausstellung in der nach dem Tod Ascan Crones von seinem langjährigen Teilhaber Andreas Osarek geführten Galerie eine Lücke zu schließen. Wie die polymorphen Schöpfungen Theks ähnelt seine rekonstruierte Stellung in der aktuellen Kunstgeschichte einem mutierten archäologischen Bindeglied, das die darwinistischen Evolutionstheorien eher in Frage stellt, als ihre Gesetzmäßigkeiten zu erklären.OLIVER KOERNER VON GUSTORF

Bis 25. Januar in der Galerie Ascan Crone, Di-Sa, 11 bis 18 Uhr. Kochstraße 60, Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen