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Extremismus per Gesetz

Schilys Sicherheitspaket II stellt Ausländer und Asylsuchende unter Generalverdacht. Zynisch kommentiert: Nicht-Integration ist ein erster Schritt zum Terrorismus

Es geht nicht gegen den Terrorismus, sondern um angepasstes Verhalten von Ausländern

Die Zuwanderungsdebatte hatte eine Hoffnung genährt: dass sich Deutschland endlich von den polizeirechtlichen Wurzeln seines Ausländerrechtes lösen werde. Doch der Entwurf des Terrorismusbekämpfungsgesetzes, der zeitgleich mit dem geplanten Zuwanderungsgesetz das Kabinett passiert hat, beseitigt die letzten Illusionen. Ausländer und Asylsuchende gelten künftig noch mehr als sicherheitspolitisches Risiko. Das institutionalisierte Misstrauen gegen sie wird zum Generalverdacht erweitert. Ein Bekenntnis zum Terrorismus oder gar eine konkrete Unterstützung ist dafür nicht nötig.

Das Anti-Terror-Paket soll im notstandsgesetzgeberischen Tempo durch das Parlament geschleust werden. Dabei werden viele der geplanten Neuregelungen aus technischen Gründen erst nach Jahren wirksam. Dies gilt zum Beispiel für die biometrischen Merkmale in den Ausweispapieren. Der Zeitdruck ist nicht in der Sache begründet, sondern gehört zur symbolischen Politik nach dem Motto: Wir handeln schnell. Bereits heute führt der Innenausschuss des Bundestages eine Expertenanhörung durch. Den Geladenen blieben lediglich ein paar Tage zur Vorbereitung. Schon dies zeigt, dass es der Bundesregierung nicht darauf ankommt, die geplanten tiefgreifenden Einschnitte in den Rechtsstaat ernsthaft überprüfen zu lassen. Gleichzeitig zerfranst der Terrorismusbegriff. Es wird einfach übergangen, dass das Völkerrecht keine verbindliche Definition des Terrorismus kennt. Stattdessen wird die sehr vage UN-Resolution vom 28. September 2001 so zitiert, als löse sie dieses Problem und alle sonstigen Probleme im Umgang mit dem Terrorismus. Ihre Existenz verleiht jeder geplanten Maßnahme Legitimität – unabhängig davon, ob sie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist.

Einige Beispiele, was in diesem Klima der Notstandsgesetzgebung ausländerrechtlich möglich ist: Ausgewiesen wird künftig in der Regel derjenige, der „die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zu Gewaltanwendung aufruft, oder mit Gewaltanwendung droht oder einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt oder eine derartige Vereinigung unterstützt“. Dieses Gestotter vager Tatbestände heißt im Klartext: Es genügt die wie auch immer geartete Unterstützung einer Vereinigung, die – nach den ebenso vagen Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden – den internationalen Terrorismus unterstützt. Eines konkreten Gewaltbeitrages – gar im Inland – bedarf es nicht. Es droht ein Rückfall in die Sympathisantenhatz der 70er-Jahre. Gewaltanwendung und Terrorismus werden weitgehend gleichgesetzt. Was das Bundesverfassungsgericht deutlich voneinander getrennt sehen wollte, wird zu einer trüben Suppe verrührt.

Der Regelausweisung soll ihr Sofortvollzug folgen. Dies wird, so auch das Bundesjustizministerium in einer Stellungnahme, tief in den verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutz eingreifen. Denn er wird illusorisch, wenn die Ausweisung vollzogen wird, bevor die Gerichte ihre Rechtmäßigkeit geprüft haben. Das Gesetz wird mit voller Wucht auch Ausländer und Asylsuchende treffen, die mit terroristischen Verbrechen nicht das Geringste zu schaffen haben. Den Beweis allerdings werden sie künftig häufig vom Ausland aus erbringen müssen.

Wer einen visumpflichtigen Ausländer aus einem der Problemstaaten einladen will, die künftig der neue § 64a Ausländergesetz festlegt, sollte sich über die Folgen klar sein. Denn nicht nur die Daten des Visumantragstellers, sondern auch die des Einladers werden „zur Feststellung von Versagungsgründen“ für das Visum an alle deutschen Sicherheitsdienste übermittelt, wenn Terrorismusverdacht besteht. Deutsche, die so von den fast schrankenlosen Datenübermittlungsbefugnissen des Anti-Terror-Pakets am Rande betroffen sind, können vielleicht nachvollziehen, was es bedeutet, dass Asylsuchende zu „gläsernen Menschen“ gemacht werden. Was immer sie im Asylverfahren gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder bei Ausländerbehörden vorbringen – es wird mit großer Wahrscheinlichkeit beim Verfassungsschutz landen und verschwindet damit im unkontrollierbaren Orkus der Geheimdienste. Es genügen vage Anhaltspunkte, der Asylsuchende engagiere sich irgendwie gegen das friedliche Zusammenleben der Völker. Die schon zugigen Behördenflure im Asylbereich werden noch zugiger: Faktisch stehen alle Türen offen. Die potenziellen Endverbraucher frei flottierender Informationen, die Geheimdienste der Verfolgerstaaten, können sich beglückwünschen.

Von den Migrantenorganisationen offenbar noch wenig entdeckt ist die geplante Erweiterung der Verbotsmöglichkeiten von Ausländervereinen. Die krude Begründung des Entwurfs zeigt deutlich: Es geht nicht gegen den Terrorismus. Es geht um angepasstes Verhalten, erzwungen mit dem Damoklesschwert des drohenden Vereinsverbots. Bereits die kollektive Betätigung von drittstaatsangehörigen Ausländern, so heißt es dort, könne im besonderen Maße das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern und vor allem von Ausländern untereinander gefährden. Gestört werden kann dieses Idyll à la Schily nicht erst durch Gewalt, sondern bereits „beispielsweise durch die Ablehnung von Integration“. Zynisch könnte man kommentieren: Nicht-Integration ist ein erster Schritt zum Terrorismus. Sonst müsste das Ganze ja nicht in einem Terrorismusbekämpfungsgesetz stehen.

Die Geheimdienste der Verfolgerstaaten können sich freuen über deutsche Gratisinformationen

Um die Folgen konkret zu machen: Ein Ausländerverein kann zum Beispiel dann verboten werden, wenn er angeblich Bestrebungen fördert, die „mit den Grundwerten einer die Würde achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar“ sind. Dazu gehören dann – in der Begründung nachzulesen – Vereine, die Organisationen im Ausland fördern, die islamistische Staatsformen anstreben. Was darunter zu verstehen ist, erläutert der Gesetzentwurf nicht. Der Islam ist jedoch in vielen Ländern Staatsreligion, obwohl ihr politisches System unterschiedlich ist. Die Tatsache, dass es unter den Vertretern aller religiösen Bekenntnisse Fanatiker gibt, die den Rechtsstaat durch göttliche Eingebung ersetzen wollen, hat sich offenbar noch nicht herumgesprochen.

Dass solche Ekelhaftigkeiten sich in der Begründung einer Kabinettsvorlage finden, die direkt neben dem Entwurf des Zuwanderungsgesetzes auf den Tischen der Koalition lag, verdeutlicht die politische Kultur in diesem Lande. Nicht effektive Terrorismusbekämpfung mit polizeilichen und kriminalpolizeilichen Mitteln oder gar präventiven Konzepten ist angesagt, sondern Putativnotwehr gegen Ausländer und Flüchtlinge. Man kann dies auch gesetzgeberischen Extremismus nennen. BERND MESOVIC

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