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Die Blackbox denkt

Muss man sich bald Gedanken machen über die Rechte von Maschinen?In Berlin wurde eine große Studie über die Zukunft der Roboter vorgestellt

Noch unterliegen Roboter als Sachen dem Privatrecht und Verbraucherschutz

von SEBASTIAN HANDKE

Humangenetik, Biotech, künstliche Intelligenz – um nichts weniger als die Zukunft der Gattung scheint es in den öffentlichen Debatten zu gehen. Der eine oder andere Forscher mag sich an den Visionen für Millionen gerne beteiligen, wie die jüngste Veröffentlichung eines für Experten deutlich als misslungen erkennbaren Menschenklon-Experimentes eindrucksvoll demonstriert. Der gemeine Wissenschaftler hingegen blickt wohl nur gelegentlich von seinen Arbeitsroutinen auf und möchte solchen Propheten dann gerne zum Arztbesuch raten, Altkanzler Schmidts berühmter Empfehlung folgend, wonach Visionen vor allem ein guter Grund seien, zum Arzt zu gehen.

Wem es um Orientierung, weniger um Visionen geht, werkelt eher im Stillen, und von „Zukunftsforschung“ mag man dann auch nicht mehr reden. „Technologiefolgenabschätzung“ wird die weitgehend visionsfreie Arbeit am so genannten Orientierungswissen dann genannt, und das soll nicht etwa bürokratisierten Pessimismus als vielmehr Seriosität und Wissenschaftlichkeit signalisieren. Die „Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler ist so eine Einrichtung. Dort widmen sich interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppen der „Erforschung absehbarer mittel- und langfristiger Prozesse“.

Um Embryonenforschung geht es da, funktionelle Lebensmittel, Xenotransplantation oder elektronische Signaturen. Der Projektleiter der Abteilung „Klimavorhersage und -vorsorge“ heißt Stephan Ling. In seiner neunköpfigen Gruppe arbeiten zwei Ökonomen zusammen mit Habermas-Schüler Konrad Ott an Empfehlungen, welche sich an der „Prognoseunsicherheit“ und „Langzeitvariabilität“ des Klimas orientieren sollen. „Der hat sich durchgesetzt,“ sagt Lingner mit jenem Nachdruck in seiner Stimme, der keinen Zweifel lässt an der Durchschlagskraft des Umweltethikers Ott. Dennoch „muss manchmal halt etwas ausgeklammert bleiben“. Dass das sich abzeichnende Ergebnis, nämlich die Empfehlung, quasireversible Prozesse wie Kioto zu fördern, dann doch eher nach einer recht weichen Formel klingt, will Lingner nicht gelten lassen: es komme schließlich sehr darauf an, solche Projekte mit wissenschaftlicher Kleinarbeit zu stützen.

Von dieser Fleißarbeit bekam man einen Eindruck, als die Europäische Akademie am Mittwoch im Berliner Wissenschaftsforum ihre nunmehr siebte Studie vorstellte: „Robotik. Perspektiven für menschliches Handeln in der zukünftigen Gesellschaft“, die so gar nichts hat von den vieldiskutierten Szenarien Bill Joys oder Steven Spielbergs. Die in zweijähriger Arbeit entstandene Roboter-Denkschrift dürfte in dieser Form wohl die einzige ihrer Art sein. Nachdem anfangs jeder der Autoren seinem Fachgebiet gemäß einen „Saattext“ zulieferte, wurde dieser im Verlauf der gemeinsamen Diskussion mehrfach überarbeitet und schließlich mit den anderen Beiträgen zu der nun vorliegenden Studie ausgebaut.

Das Ergebnis ist ein recht einheitliches und sehr umfassendes Werk. Gut ein Drittel des Buches widmet sich den Grundlagen der Robotik: Begriffsklärungen, Erwartungshaltungen und der Stand der Dinge. Im Folgenden geht es u. a. um ethische Fragestellungen, rechtliche Probleme und eine gesundheitsökonomische Kosten-Nutzen-Bewertung, bevor das abschließende Kapitel seine zusammenfassenden „Handlungsempfehlungen“ formuliert.

Für den Robotik-Interessierten tauchen da doch eine ganze Menge überraschende Detailfragen auf. Im Übrigen unterlägen Roboter als Sachen dem Privatrecht und dem Verbraucherschutz, und die anthropomorphen Sprachspiele sollten nun auch schleunigst ein Ende haben. Die Forderung nach einer Entwicklungsprozesse aufzeichnenden Blackbox für lernende Systeme wird dann folgerichtig auch nur mit der Feststellung von Schadenshaftung begründet. Für die rechtlich und ethisch ungemein schwierige Situation lernender autonomer Systeme fehlt hier (noch) das Sensorium. Dann nämlich entsteht das selbst vom zuständigen Informatiker nicht mehr lösbare Problem der Bewusstseinszurechnung, und wer heute in der biopolitischen Debatte das Menschenrecht an Bewusstsein oder Empfindung gebunden sehen möchte, muss sich dann Gedanken machen über die Rechte der Maschine. Da hätte man sich dann doch ein wenig Vision gewünscht.

Thomas Christaller u. a.: „Robotik. Perspektiven für menschliches Handeln in der zukünftigen Gesellschaft.“ Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2001, 300 Seiten, 156 DM

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