piwik no script img

Kreativität in mathematischen Bahnen

■ Können komponierende Computer GEMA-Tantiemen verlangen? „Machinations and Imaginations“, die Tagung der „projektgruppe neue musik“, diskutierte nicht nur diese Frage im Themenkomplex „maschinengenerierte Musik“

Ein Slide-Gitarren-Roboter ist vielleicht nicht die naheliegendste Erfindung im Rahmen der Erforschung künstlicher Intelligenz – aber eine sehr aufschlussreiche. Denn dieser Roboter von Nicolas Anatol Gabinsky spielt nicht nur Slide Guitar, er improvisiert auch selbständig. Gesteuert wird das Gerät von einem Computer, der ein lernfähiges, neutrales Netz enthält. Obwohl keine Kenntnisse der Harmonielehre hineinprogrammiert wurden, improvisert der Roboter über Bluesschemata und kreiert so Melodien.

Dies bedeutet nach Baginsky „einen provokanten Einbruch in die menschliche Domäne Kreativität“. Sein Vorhaben, diesen Musik-Roboter – als Komponisten – bei der GEMA anzumelden, illustriert sehr schön eine der zentralen Fragen der 11. Tagung der Projektgruppe Neue Musik Bremen, die am Wochensnde stattfand. „Musik mit maschinischen Verfahren herstellen“ hieß das Thema, „Maschination und Imagination“ war der Titel.

Die Frage nach der Urheberschaft des Komponisten und der Freiheit der InterpretInnen war nach jeder Darbietung auf Seiten des Publikums die dringlichste. Den Eigenanteil des Interpreten der nach stochastischen Methoden (Wahrscheinlichkeitsrechnung) komponierten, sehr dichten und rhythmisch starken Klavierstücke von Iannis Xenakis zu bestimmen, war vergleichsweise einfach. Der Ausdruck des präzise agierenden Pianisten Dimitri Vassilakis wurde, genau wie beim klassischen Repertoire, bestimmt durch den Anschlag, die Dynamik etc. Doch wie weit erstreckt sich die Urheberschaft des nach mathematischen Prinzipien Komponierenden?

Da wird's schon schwieriger. Sie bewegt sich im Spannungsfeld von Freiheit und Determinismus, von Ordnung und Chaos. Das andere Ende dieses Feldes markierte nicht nur die freie Improvisation, der das Abschlusskonzert gewidmet war, sondern auch Matthias Spahlingers radikal Ordnung auflösendes „extension“ für Violine und Klavier. Der fragmentarische Charakter des Stückes hinterließ ein weitgehend ratloses Publikum. Dabei war die Grundidee so simpel wie genial: Ordnung für alles ist keine. „Man kennt das aus der Mengenlehre: hier ein grüner Hut, dort ein Paar gelbe Socken, also zwei Schubladen für Hüte und Socken. Nun noch einmal zwei Schubladen für gelb und grün“ – erklärte Spahlinger. „Die Ordnungssysteme nehmen exponentiell zu, die Gegenstände dagegen nur additiv.“ Der Furor der Ordnung führt so ins Chaotische. Wie die Interaktion dreier frei agierender Musiker zu einer neuen, sehr fragil wirkenden Ordnung führt, zeigten Phil Minton (Stimme), Axel Dörner (Trompete) und Thomas Lehn (Live-Elektronik) in ihrer freien Improvisation.

Noch einmal anders stellt sich die Frage nach der Autorenschaft in den Stücken für Live-Elektronik und Solisten von Heinz Holliger, Winfried Ritsch und Bernhard Lang. Der verstärkte Herzschlag des Oboen-Spielers Christian Hommel ist in Holligers „Cardiophonie“ der rhythmusgebende Puls. Der eloquente Spahlinger brachte das Konzept des Stückes in der Podiumsdiskussion folgendermaßen auf den Punkt: Je unsicherer der Interpret, desto höher das von ihm zu spielende Tempo. Unsicher wirkte Hommel nicht, er spielte sich aber derart in Rage, dass seine Darbietung ein Bravura-Parforce-Ritt von Free Jazz-Ausmaßen wurde. In „Monologe VI“ von Winfried Ritsch startet der Anschlag des Cellisten Michael Moser ein Computerprogramm, das das Klangmaterial in Echtzeit selektiert und nach kompositorischen Kriterien ordnet. Das Programm wurde von Ritsch selbst geschrieben; er ist es also, der dem Rechner die Kriterien liefert. Folglich sind die „Monologe“ nicht allein ein schönes Stück zeitgenössischer Musik, sondern zeigten auch, wie die Grenzen zwischen Komponist, Interpret und Maschine sich tendenziell auflösen. Gleichberechtigt treffen Solist und Rechner Entscheidungen – auf der Basis der Partitur.

Die Materialität der Instrumente wie der verstärkenden und aufzeichnenden Systeme kam nicht nur in den Störungen – sich aufhängende Computer wie gerissene Saiten – zum Vorschein. In den Kurzfilmen des Videokünstlers Jean-François Guiton bereichern die Unzulänglichkeiten des Materials den Gesamteindruck. Ein sich bewegender Fuß hinterlässt in „Fußnoten“ eine malerische Farbschliere. Während Guiton sich in älteren, analogen Arbeiten bemühte, exakt gleiche Loops hintereinander zu schneiden, was an den beschränkten Möglicheiten der Videotechnik scheiterte, sieht er sich heute, bei digitalen Schneideverfahren, mit dem Problem konfrontiert, derlei Ungenauigkeiten künstlich herstellen zu müssen. Zu exakte Loops wirken, wie Guiton ausführte, ermüdend.

Einen zugleich prägnanten wie offenen Beitrag zum Verhältnis Mensch-Maschine lieferte das Musiktheaterstück „Machinations“ von Georges Aperghis. Vor vier Videoleinwänden saßen an vier baugleichen Tischen vier Sängerinnen/Schauspielerinnen. Sie sprachen, sangen, grollten und flüsterten Aperghis' komplett notierte Textpartitur, die größtenteils aus Phonemen besteht, die sich nur selten zu Sinnzusammenhängen organisieren. „Machinations“ sind so eingerichtet, dass faszinierende Präzision (bei Stimmen, Bild- und Lichtregie) direkt auf die Schwierigkeit prallte, das gesamte Stück oder auch nur Teile davon unmittelbar mit Bedeutung zu versehen. Wir bringen, so Aperghis, die einzelnen Elemente in Bezug zueinander, weil wir sie gleichzeitig sehen. Die sprachkritischen Wortspieler der Wiener Gruppe hätten wohl ihre helle Freude daran gehabt.

Hatte man sich in den Diskussionen schnell auf die Rolle des Computers eingeschossen, führte diese musikalische Inszenierung dann doch zum Begriff des Maschinischen, der dieser gelungenen Tagung den Titel gab. Nicht zuletzt der erfreulich große Zuspruch des Publikums kann als Anerkennung verstanden werden. Verschiedene kompositorische Modelle und ästhetische Positionen durften, ja sollten aufeinander treffen – ohne dass jemand sich der Illusion vorschneller allgemeingültiger Antworten hingab. Eher konnte am Beispiel zeitgenössischer Musik ein Feld kartografiert werden, dessen Tragweite über kompositorische Problemstellungen weit hinausreicht.

Dieter Wiene /

Tim Schomacker

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen