: Ökonomie des Schuldgefühls
DAS SCHLAGLOCH von MICHAEL RUTSCHKY
Dieser Krieg ist so unselig wie alle anderen auch. Es geht um Macht. Die Machtgeilheit in den Köpfen der Mächtigen ist die Katastrophe der Schwachen, der Ohn-Mächtigen. Saddam hat überlebt, Bin Laden wird es auch. Umgekommen oder verstümmelt sind die Unschuldigen in Bagdad, in New York. Umkommen werden die Unschuldigen in Afghanistan: die Kinder, die Alten, die Schwachen. Und was ist Macht? Die Hybris des Kopfes über die Regungen des Herzens. So einfach ist das. Es wirkt verheerend.“Leserbrief von Herrn Reischmann im „Spiegel“ vom 3. Dezember 2001
Es hat alles keinen Zweck. Ob Saddam ungehemmt einen um Kuwait und seine Ölvorkommen bereicherten Irak kommandiert oder ob er zurückgeschlagen und (einigermaßen) unter internationale Kontrolle gebracht ist; ob die Taliban entmachtet sind und in Afghanistan ein hinreichend strukturiertes Staatsgebilde installiert ist – oder ob das illegitime, international nicht anerkannte Regime der Koranschüler seine absurden Maßnahmen durchsetzt, ein Regime, in das sich ein reicher Privatmann eingenistet hat, der eine Art Privatarmee aufbaut, mittels deren er überall auf der Welt Terroranschläge ausführen kann – das macht überhaupt keinen Unterschied. Das ist ganz gleichgültig. Es ist doch eh alles ahns, wie der Bayer sagt.
Solchen Quatsch meinen nur Frauen, meint unsere Freundin Jutta in ihren Anfällen von Misogynie. Er stammt aber von Herrn Reischmann, und ich gehe mal davon aus, dass sein Meinen immer wieder diesen Punkt erreicht, was auch immer ansteht. Als seinesgleichen zum Thema BSE ihre Leserbriefe schrieben, kamen sie mit größter Sicherheit stets bei diesem Ziel an: Die Maßnahmen, welche die Verantwortlichen jetzt ergreifen, kommen zu spät, bleiben ohne Effekt und verschlimmern womöglich die Auswirkungen der Katastrophe – Letzteres bildet freilich ein Sahnehäubchen auf der Argumentation, das sich nicht jeder ihrer Anhänger gönnt.
Sie inszeniert sich auch nicht jedesmal so verweint. Die Hybris derer, die – beispielsweise – eine Reform der Rechtschreibung für wünschenswert und möglich halten, ermutigte die Reischmanngleichen immer wieder zu Tiraden von schneidendem Hohn. Von Bedeutung ist vor allem dieser Höhepunkt, den der eine rasch, der andere langsamer erreicht und bei dem auch manchmal leise daneben getroffen wird: Es gibt nur Probleme, es gibt keine Lösungen. Wer sich an das Lösen, auch nur das Bearbeiten von Problemen macht, missversteht den Weltzustand. Er gerät sofort in heillose Verstrickungen und verwandelt sich daher unweigerlich in einen Teil des Problems, das zu lösen er vorgegeben hat.
Wird George W. Bush nicht jeden Tag Ussama Bin Laden ähnlicher? Illuminierte Geister wie Arundhati Roy und Ulrich Wickert erkannten die Identität ja schon am ersten Tag. Wenn Sie sich über den Gestus Klarheit zu verschaffen suchen, in dem Anne Will die „Tagesthemen“ und Wolf von Lojewski das „Heutejournal“ moderieren, werden Sie denselben Fatalismus entdecken.
(Wenn Ihnen CNN missfällt oder unlesbar bleibt, sollten Sie als Gegenmittel zum Fatalismus von Will/Lojewski die gute alte BBC anschauen.)
Ist das eigentlich Buddhismus?, fragt die intelligente Sechzehnjährige, dass alles ahns is? Ihr Französischlehrer verweist sie auf Pascal, der den Ursprung der Tragödie des Menschen darin erkannte, dass er nicht in seinem Zimmer auf seinem Stuhl sitzen bleiben kann.
Was Herrn Reischmann und seinesgleichen vom fernöstlichen Fatalismus gründlich unterscheidet, das ist der Hohn; ohne Umschweife oder auch nur Höflichkeitsfloskeln beanspruchen sie privilegierten Zugang zur höheren Einsicht und können die, welchen er fehlt, ob er amerikanischer Präsident ist oder der nächste Leserbriefschreiber (oder, im Fall der Rechtschreibreform, die Kultusbürokratie), nur mit Verachtung strafen. – Auf Pascal, wenn Sie mir Gelehrsamkeit erlauben, können Herr Reischmann und seinesgleichen sich nicht berufen, weil Pascal den unbändigen Wunsch der Sechzehnjährigen, ihr Zimmer zu verlassen und draußen Unheil anzurichten ebenso wie zu erleiden, zwar für tragisch hält, zugleich aber für die besondere Würde und Ehre des Menschen.
Weniger taktvoll gesagt: Wenn Herr Reischmann und seinesgleichen höhere Einsicht beanspruchen in die Unlösbarkeit der Probleme und die Anmaßung derer, die behaupten sie lösen zu können, so beweisen sie diese Einsicht noch keineswegs. Sie melden bloß einen Anspruch auf eine höhere Position an. Wir sehen sie statt mit einer intellektuellen Tätigkeit (argumentieren) mit einer sozialen Tätigkeit befasst, dem guten alten Distinktionsspiel. Wie alle Leserbriefschreiber leidet Herr Reischmann daran, dass er bloß der Leser ist statt des Leitartikelschreibers, und der Hohn, die schneidende Formulierung sollen diese Statusdifferenz abtragen, was natürlich misslingt. In puncto Rechtschreibreform gaben sie sich ja stets rasch als die weit kompetenteren Linguisten zu erkennen, die der Kulturbürokrat in seiner Verblendung typischerweise einzuvernehmen versäumte.
Der Krieg als Thema verschärft unweigerlich die Angelegenheit. Anders als bei der Rechtschreibreform geht es buchstäblich um Leben und Tod, und diese existenzielle Unterscheidung für das Distinktionsspiel auszubeuten, darauf können Herr Reischmann und seinesgleichen unmöglich verzichten. Warum sind sie alle so automatisch für das Leben?, fragt die intelligente Sechzehnjährige, und gegen den Tod?
Das ist die moralische Eitelkeit: Jeder badet gern ausgiebig in seinen eigenen guten Absichten und in seinem Wohlwollen, „die Regungen des Herzens“, wie Herr Reischmann es ausdrückt – aber das wäre ein anderes Thema. In puncto Krieg kommt die Ökonomie des Schuldgefühls dazu, in die unweigerlich eintritt, wer sich für oder gegen die Operationen der Bush-Administration auch nur innerlich engagiert, und außerhalb eines solchen Engagements zu verharren, macht der Krieg ganz unmöglich.
Wie man an Herrn Reischman sieht. Die ganze Zeit hielt er die Attacken auf WTC und Pentagon für unverzeihlich, aber als die Bush-Administration mit dem Bombardement begann, wäre Schuldgefühl entstanden, hätte Herr Reischmann den Krieg begrüßt. So erklärte seinesgleichen das Bombardement flugs zur gänzlich unangemessenen Antwort auf den Terror, die nur neuen T. erzeuge. Und sonnten sich in ihrer Schuldgefühlslosigkeit, solange die Angriffe kein erkennbares Ergebnis brachten („sage ich doch die ganze Zeit“).
Aber dann waren Ergebnisse da, erfreuliche Ergebnisse. Doch hätte ihre Anerkennung rückwirkend die der US-Bombardements impliziert. Das forderte von Herrn Reischmann entschieden zu viel, und so verlegte er sich auf die höchste Feier der Ohnmacht, was ihm auch noch die tiefste Verachtung derer erlaubte, die sie nicht teilen wollen. Man erkennt ein falsches Spiel.
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