: Warum der Schlächter traurig ist
Der usbekische Warlord Dostum nennt das Petersberger Abkommen „Demütigung“. Der designierte Regierungschef Karzai hält Kontakt mit Taliban
aus Delhi BERNARD IMHASLY
Hamid Karzai konnte am Mittwoch den Telefonanruf nicht selber beantworten, der ihm die Nachricht über seine Ernennung zum Chef der Übergangsregierung in Kabul brachte. Als Grund für seine Verhinderung nannte er gegenüber der BBC den Termin, den er gleichzeitig hatte – mit den Taliban. Die Erklärung beantwortete nicht nur die Frage seiner Abwesenheit, sie beseitigte auch das Gerücht, wonach Karzai beim Bombenabwurf durch ein amerikanisches B-52-Flugzeug, der acht Menschen, darunter drei amerikanische Soldaten, das Leben gekostet hatte, verletzt worden sei.
Am Donnerstag warf die Agentur Afghan Islamic Press (AIP) dann mehr Licht auf das geheimnisvolle Treffen. Ein Taliban-Sprecher erklärte ihr, Mullah Omar, der in der belagerten Stadt Kandahar vermutet wird, habe eine Taliban-Delegation nach Shah Wali Kot entsandt. Der Ort liegt rund 25 Kilometer nördlich von Kandahar und ist das vorgeschobene Hauptquartier Karzais, von dem aus er zusammen mit anderen Stammesführern den Angriff auf Kandahar vorbereitet. AIP zitiert den Taliban-Sprecher mit der Absicht, „das Problem Kandahar friedlich zu lösen, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden“.
Das scheint geglückt: Gestern Nachmittag bestätigte Karzai, dass die Taliban ab heute mit der Übergabe von Kandahar beginnen. Sie dauere vermutlich zwei bis drei Tage. Den einfachen einheimischen Taliban solle Amnestie gewährt werden. Sie gelte nicht für Mullah Omar und ausländische Taliban-Kämpfer.
Karzai ist ein erbitterter Taliban-Gegner, hat aber in den Wochen, seit er in der Provinz Uruzgan den Aufstand gegen Mullah Omar organisiert, immer wieder betont, er würde eine kampflose Übergabe von Kandahar einer blutigen Schlacht vorziehen. Mit der Entsendung einer Verhandlungsdelegation anerkannte Mullah Omar allerdings nur seine verzweifelte Lage in der umzingelten Stadt und nicht den neuen Status von Karzai.
In Quetta, der pakistanischen Grenzstadt, äußerten Stammesführer aus dem Süden Afghanistans Befriedigung über die Wahl Karzais und damit eines Kandahar-Paschtunen. In den Jubel mischte sich allerdings auch der Vorwurf, die Nordallianz habe in der Zusammensetzung und Zahl der Minister wenig Respekt für eine ethnische Balance gezeigt. Diese Kritik äußerte auch Pir Ahmed Gailani, der Paschtunen-Führer aus Peschawar, wo die ostafghanischen Stammesführer ihre Gruppe für Bonn bestellt hatten. Während die Nordallianz 18 Posten von den insgesamt 29 für sich beanspruchte, erhielt die Peschawar-Gruppe nur drei, die zudem unbedeutend sind.
Doch die Gruppengrenzen sind weitgehend künstlich, und unter den sechs Ministern aus der Rom-Gruppe könnten einige ebenso gut der Peschawar-Gruppe zugerechnet werden. Beobachter vermuten, dass die Kritik auch taktisch motiviert sei. Es gehe auch darum, im Hinblick auf die Loja-Dschirga-Auswahlkommission und später für diese selbst Ansprüche anzumelden.
Dasselbe lässt sich auch von der Kritik von Raschid Dostum sagen, dem Usbekenführer aus dem Norden. Dieser ist zwar ein Gründungsmitglied der Nordallianz, doch seine Kritik zeigt, wie brüchig diese „Allianz“ ist. Er habe nur drei Posten zugesprochen erhalten, beklagte er sich gegenüber der Agentur Reuters. Allerdings sind von den 18 Allianz-Ministerien erst sechs besetzt worden, und Dostum strebt eine stärkere Vertretung seiner Vertrauten an. Dennoch lässt die Schärfe von Dostums Äußerungen aufhorchen. Er nannte die Konferenzresultate eine „Demütigung“. Seine Usbekenmiliz werde die neue Regierung boykottieren und dieser den Zutritt in den Norden verweigern. Besonders enttäuscht zeigte sich Dostum, dass seiner Fraktion das Außenministerium verweigert wurde. „Wir sind sehr traurig“, sagte der seit den Mudschaheddin-Kämpfen um Kabul 1993 bis 1996 als Schlächter berüchtigte Kriegsführer und zeigte damit, dass auch er menschlicher Regungen fähig ist.
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