piwik no script img

College-Kuschel-Rock von der Wasser-Kante

■ Im Schlachthof präsentierte sich die eigenwillig-gefällige Hamburger Band „Kante“

Dass sich Titelstories (z.B. „intro“) nicht unbedingt in ausverkauften Häusern niederschlagen, dafür können weder begeisterte Journalisten noch die gefeierten Bands etwas. Dass zum Mittwochs-Konzert von Kante gerade mal zweihundert BesucherInnen in den Schlachthof kamen, war dennoch überraschend mau, sind doch Kante neben Blumfeld und Tocotronic die bekanntesten Protagonisten dessen, was vor Jahren breitenwirksam als „Hamburger Schule“ abgefeiert wurde.

Auch sind Kante bei aller musikalischen Ambition kein übermäßig sperriges Phänomen. Auf „Zwielicht“, dessen Stücke den Hauptteil des Sets ausmachten, haben die vier Hamburger, auf der Bühne um zwei Mann verstärkt, den reduzierten Klang ihres Debüts „Zwischen den Orten“ aufwändig erweitert und auch ihr Songwriting verfeinert. Kein Wunder, dass sie damit die Feuilletons aufgerollt haben, gibt es doch hierzulande nur wenige ähnlich erfolgreiche Bands, die so vielfältige und erlesene Einflüsse zu einer eigenen Musik zu vereinen wissen. Notwist, deren wunderschönes neues Album Mitte Januar erscheint, sind da vielleicht die einzigen.

Vom ersten Song („Im ersten Licht“) an setzten Kante die üppigen Vorlagen ihres letzten Albums und einige der spröden Songs des Debüts äußerst konzentriert und verblüffend genau um, ergänzt durch einen Song von Bob Dylan und „Afro Blue“ (Mongo Santamaria), womit zwei wesentliche Einflüsse der Kante-Musik markiert wären: Folk und Jazz. Sänger und Gitarrist Michael Thiessen, im letzten Monat als Bassist bei Blumfeld in Bremen zu Gast, gab die Quellen bereitwillig preis. Dass die Zeile „My Love Is Still Untold“ einem Song von Billie Holiday entstamme, dass die gesampelte Stimme in „Best Of Both Worlds“ von irgendeiner obskuren alten Platte des Ska-Urgesteins „Count Ossie“ stamme und so weiter. Nachvollziehbarkeit allerorten, sogar im Zugabenteil, wo „Mr. Bird & Partner“ alias Kante-Schlagzeuger Sebastian Vogel und Gastgitarrist Felix Müller ihren HipHop-Remix von „Im ersten Licht“ live aufführten.

Über all der liebevollen Reproduktion des Materials kam - kaum verwunderlich - eines nicht auf: die ausgelassene Stimmung eines Rocckonzerts. Thiessen kommentierte das mit der Feststellung, sie kämen sich ob der feierlichen Stimmung wie in einem Theater vor. Dafür das durchaus begeisterte Publikum haftbar zu machen, wäre allerdings Unsinn, ist doch die Musik selbst nicht eben geeignet, zum Ringelpietz zu agitieren. Zu schöngeistig, zu zart – zumindest für diesen Zweck. Ein Besucher kommentierte das mit dem schönen Begriff vom „Kuschelrock“, der hier natürlich und zum Glück wegen seiner stilistischen wie formalen Offenheit nichts mit dem gemein hat, was sonst unter diesem Etikett zu finden ist.

Andreas Schnell

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen