: Wir Schlüsselkinder
Die Alltagskultur hat eine neue Obsession. Wer etwas auf sich hält, trägt Schlaufe um den Hals, am besten mit Aufschrift. So kann jeder jederzeit von jedem zugeordnet werden. Egal ob Party oder Parteitag: We are family
von JUDITH LUIG
Erneuerung, Verantwortung, Zusammenhalt – Damit die großen Vorhaben der SPD nicht leere Worthülsen bleiben, demonstrierten die Genossen auf ihrem Nürnberger Parteitag im November sogleich die Umsetzung. Und zwar durch rote Schleifen um den Hals, nicht ganz unähnlich denen des Lindt-Osterhasen, nur baumelte statt Glöckchen ein Namensschild am Band.
Von hinten angefangen: Den Zusammenhalt bieten die Bänder nicht nur den Namensschildern. Durch die Ähnlichkeit mit Schlüsselanhängern erinnert man sich in der Arbeiterpartei der gemeinsamen Wurzeln als Arbeiterkinder, wo die Mami nicht daheim ist, wenn man aus der Schule kommt. Und Zusammenhalten ist ja gerade in Zeiten, in denen überall Schläfer und Andersdenkende drohen, besonders wichtig.
Verantwortung, das ist klar, kommt auch aus der Arbeiterecke. „Du bist doch schon ein großes Kind und kannst allein dein Mittagessen aufwärmen.“ (Allerdings bist du leider zu blöd, deinen Schlüssel nicht zu verlieren.) Und zuletzt die Erneuerung. Das Band beweist eindeutig Zeitgeistigkeit, Jugendlichkeit. Schließlich schmückten die Teenies ihre freigelegten Körper auf der diesjährigen Kölner Popkomm mit ähnlich lässigen Bändseln. Somit gewann der SPD-Parteitag ein wenig Schulausflugscharakter.
Die Schlaufen sind somit ein Symbol für die Leitworte, denen sich die Partei verschreibt. Aber sie stehen auch für die neuesten Werte unserer Gesellschaft: Eindeutige Botschaften in einer unübersichtlich gewordenen Welt formulieren zu können, Transparenz und Offenheit, Bestimmtheit und Klarheit. Die rote Farbe zeigt die politische Richtung an, die Aufschrift – zweimal „SPD“ in weißen Lettern – definiert die Partei, und das mittig gehängte Schildchen zeigt: Anders als die über der Brust getragenen Ansteckschilder schlägt das Herz jetzt nicht mehr ganz so links.
Dass Otto Schily nicht selbst darauf gekommen ist! Durch die Bänder ist jeder jederzeit von jedem identifizierbar.
Und die Bänder wurden in Nürnberg nicht nur von den minder wichtigen Menschen (von denen, die man eventuell nicht erkennt), sondern fast sogar bis an die Spitze der Parteispitze umgehängt. Offensive Gleichheitsdemonstration aller Orten – wir haben geschlossen für Gerhard gestimmt, als er uns ins Gewissen redete! Doch warum trug Schuldirektor Schröder keine Verantwortung, Erneuerung et cetera um den Kanzlernacken? Lässt man den lieber nicht allein zu Haus?
Die SPD gibt sich geheimnisvoll. Auf Anfrage der taz, wie lange diese Bändsel noch getragen würden, heißt es nur: „Bis man sie auszieht.“ Hm. Ach so.
Doch woher kommt die öffentliche Datenkarte, die mittlerweile an jeder Ecke anzutreffen ist? Wie zu erwarten, erweist sich die berufsjugendliche FDP als die politische Trendsetterin für die Bänder. Verbesserungsbedürftig an den blauen Schlaufen mit gelber Schrift auf ihrem Düsseldorfer Parteitag im Mai war allein das etwas umständlich große Akkreditierungskonvolut am Haken. Das Ganze erinnerte ein bisschen daran, wie man sich allein fliegende Kinder bei der Lufthansa vorstellt.
Die ersten offiziellen VIP-Bänder gab es in den späten Achtzigerjahren bei Veranstaltungen wie Rock am Ring oder im Park oder dem Bizarre Festival zu sehen. Hier schmückten sich die glücklichen Wichtigen, und somit waren die Bänder noch eine besondere Auszeichnung. Das Equipment um den Hals signalisierte: „Ich bin backstage und kann dabei sein, wenn sich der Gitarrist umzieht.“ Allerdings konnte es auch heißen: „Ich gehöre zu denen, die hier arbeiten, während ihr Spaß habt.“ Und wurde auch von weniger vippen Bühnenschergen und der Security getragen. Vor ein paar Jahren tauchten die Bänder – zunächst allerdings nur turnschuhbandbreit – auf den Messen auf. Nach dem Besuch der Cebit oder IFA hängte man die Schätze an irgendeine sichtbare Stelle im Büro oder in seiner Wohnung, und ein Blick auf die Sammlung zeigte jedem, wo man schon überall dabei war und wo man überall dazugehört – also wieder eher separatistisch.
Ähnlich dem heutigen Gebrauch bei den Sozialdemokraten aber sind die Bändchen schon seit Beginn ihres Siegeszugs eine Art Preisschild, da Name, Firma und Funktion immer gut sichtbar angebracht sind und man so nicht aus Versehen jemand weniger hoch Bezahlten freundlich behandelt. Außerdem befriedigt es die wunderbare Eitelkeit der Journalisten, die sich an ihrem eigenen Namen nicht satt sehen können. Ganz so wie mit den rheinischen Karnevalsorden verleiht man sich selbst ein bisschen Anerkennung.
All das wäre noch gar nicht so schlimm, wenn nicht mittlerweile auf jeder Massenveranstaltung Unmengen Promotionbändchen verteilt würden, an die man sogar im grauen Alltag seine Haustürschlüssel hakt und dann von Sonntag bis Sonnabend als lebende Werbefläche für Allianz oder ZDF rumläuft und das auch noch hip findet.
Der Einsatz auf politischem Parkett in diesem Jahr hingegen ist neu, aber deswegen nicht weniger sinnvoll, denn schnell kann jetzt jeder Querschießer oder Kritiker erkannt und zurückverfolgt werden. Die Einheitlichkeit der Farbe signalisiert deshalb nur vordergründig Gleichheit. Tatsächlich sorgen die auffälligen Namensschilder dafür, dass umso deutlicher unterschieden und eingeordnet werden kann – also eigentlich wenig sozial und noch weniger demokratisch.
Mit dem Vorteil der besseren Markierung hat die Idee der FDP schon Nachahmer gefunden. Allerdings ist die Farbenwahl noch etwas problematisch. So entschied sich die CDU gegen schwarzen Trauerflor und für leicht glänzendes Moosgrün. In der christlichen Symbolik ist Grün ja die Farbe der Hoffnung. Die Grünen selbst hatten übrigens auf ihrem Parteitag überhaupt keine Bändchen, sondern Anstecknadeln, und die Delegierten durften selbst kreativ sein, indem sie selbstklebende Schildchen selbst beschriften mussten.
Doch auch für ökologisch orientierte Menschen gibt es bestimmt eine Lösung, denn mittlerweile tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf dem Bändermarkt auf. Seit ihrer Zeit als Schlüsselumhänger haben die Bändsel eine bemerkenswerte Metamorphose durchlaufen. Ihr neues Auftreten hat sie sogar konferenzfähig gemacht. Was zunächst eine einfache dünne Schnur – in der sozial schwächeren Variante meist Haushaltskordel – war, hat sich im Laufe der Jahre zu einem breiten Textilband gemausert. So bietet das VIP-Accessoire freie Fläche und schreit geradezu nach einer Beförderung zum Werbeträger.
Unaufhaltsamer Fortschritt auch bei den Befestigungsvarianten: Der Urtyp hielt den Schlüssel mit einem Knoten. Von solch schnöden Dingen hat man sich jedoch längst abgekehrt. Kurz nach der „Schnur um den Hals“-Variante hakte man sich Karabinerhaken in die Gürtelschnalle – bevorzugt mit Plastikspirale. Die neue Variante ist jetzt ein gelungener Zusammenschluss der beiden Vorgänger: ein Band mit Karabinerhaken. Praktisch ist auch die Variante, in der man an das Polyesterband mittels eines Klickverschlusses wahlweise einen Karabinerhaken oder einen Schlüsselring anhängen kann. Da kann man dann schnell von dem einen Zusammenhalt zum nächsten wechseln.
Festgehalten werden neben Ausweisen auch Kreditkarten (sollte die aus der Visa-Reklame mal aus dem Badeanzug rutschen), Kundenkarten (zum Beispiel für den Supermarkt im Nudistencamp) oder Visitenkarten (für ein Followup von Bekanntschaften aus dem Swingerclub). Damit wären auch schon die ersten Einsatzbereiche – neben der Politik, versteht sich – umrissen. Die Anbieter der Bänder schlagen zudem noch Reitturniere, Boxkämpfe oder Disco vor. Neben dem Genossenrot lockt die gesamte Farbpalette von Lavendel bis Forstgrün. Je nachdem, ob die Bänder TeilnehmerInnen einer feministischen Podiumsdiskussion oder einer Treibjagd zieren.
Die Bänder sind die optimale Lösung, denn sie fallen ins Auge und ordnen jeden gleichzeitig auf den ersten Blick eindeutig in seine Peergroup ein. In gewisser Weise sind die roten Schlaufen auf dem SPD-Parteitag nur eine politische Variante des Fanschals der roten Teufel. Bänder zeigen, wozu man gehört und für welches Team man steht.
Das Bandtragen entspricht wie kaum etwas anderes dem deutschen Hang zur Vereinsbildung. Zu überlegen wäre jetzt noch, ob man, anders als das schlichte Uniband der Genossen, nicht noch Rangunterschiede direkt am Bande kenntlich macht. Vorbild ist hier der alte Bundeswehrwitz: „Ein Streifen bedeutet, ich kann lesen, zwei, ich kann schreiben . . .“
Mittlerweile entfaltet nicht nur der deutsche Markt die herrliche Vielfalt der Bänder. Bis nach Irland haben es die Erkennungsschlaufen gebracht. Obwohl hier die sozialdemokratische Partei gerade mal drei Prozent hat.
JUDITH LUIG, 27, hat alles Mögliche am Hals, nur keine Textilien
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