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Kein Frieden nach Atomkonsens

Mit ihrem Atomkonsens will die Regierung die „tiefe Spaltung der Gesellschaft“ kitten. Doch die Anti-Atom-Bewegung gibt sich unbeeindruckt. Die Industrie spielt derweil auf Zeit und will selbst ihre ältesten Meiler noch lange am Laufen halten

„Für uns ändert eine verabschiedeteAtomnovellenicht viel.“

von MATTHIAS URBACH

Bei Greenpeace galt gestern Business as usual. Während der Bundestag in Berlin den Atomkonsens absegnete, warfen Aktivisten routiniert ein Großdia an den Kühlturm des Meilers in Biblis. „Atomkraftwerke: Unsicher, radioaktiv, terrorgefährdet!“ Gleichzeitig beantragte man bei den Bundesländern den Widerruf der Genehmigungen aller 19 Meiler. Derweil ließ sich Umweltminister Jürgen Trittin nach der Abstimmung im Reichstag Blumen überreichen, feierte Rot-Grün den Atomausstieg.

Was bleibt von der Anti-Atom-Bewegung nach dem Ausstiegsgesetz? Gerät die Bewegung in die Krise? „Für uns ändert sich durch die Atomnovelle nicht viel“, sagt Susanne Ochse, Anti-Atom-Koordinatorin von Greenpeace. Auch die bundesweite Anti-Atom-Konferenz Ende November zeigte sich ungerührt. Schon vor mehr als zwei Jahren hatte sich die Bewegung von Rot-Grün abgewandt.

Etwas selbstkritischer ist der langjährige Aktivist Jochen Stay, früher Sprecher von „X-tausendmal quer“. Bereits im Laufe des Jahres sei der Kampf gegen die Atomkraft deutlich ruhiger geworden. „In der medialen Wahrnehmung ist das Thema eigentlich abgehakt.“ So kamen im November deutlich weniger Unterstützer aus dem Bundesgebiet zum Castorprotest ins Wendland.

In ihrem Beschluss zur Atomnovelle, betonten gestern SPD und Grüne ihre Hoffnung, die „tiefe Spaltung“ der Gesellschaft nach 30 Jahren Streit um die Atomkraft „in ein konstruktives Miteinander“ zu überführen. Atomkraftgegner wie Henrik Paulitz vom IPPNW halten jedoch den Konsens lediglich für einen „Pakt mit der Atomindustrie“. Es gebe wohl keine umweltpolitische Entscheidung, die bis in alle Umweltverbände hinein so kritisch gesehen wird, wie der Atomkonsens.

Auch die Opposition ist nicht vom Konsens beseelt. Für Union und FDP ist die Atomkraft ein „nachhaltiger Energieträger“, der Ausstieg „ein destruktives Werk“. Die Industrie versteht den Ausstieg ohnehin als Zwang: Seit längerem schon verwendet das Umweltministerium das Wort „Atomkonsens“ nicht mehr – auf Geheiß des Kanzleramtes, das wiederum Rücksicht auf die Industrie nimmt. Denn dort sieht man den Konsens als Diktat. Freilich ein aufgeweichtes, das man hofft, aussitzen zu können. Wie, das zeigt die Energie Baden-Württemberg (EnBW): Sie kündigte Ende November an, ihren Meiler in Obrigheim noch fünf, sechs Jahre länger laufen zu lassen – bis mindestens 2006. Eigentlich galt Obrigheim als der erste Abschaltkandidat – schließlich ist es der älteste Meiler. Nun will die EnBW ausgerechnet von ihrem modernsten Reaktor in Neckarwestheim etwas von der genehmigten Reststrommenge auf den mürben Meiler übertragen. Trittin hat sich das genau anders herum vorgestellt.

Die Anti-Atom-Bewegung stärken solche Ankündigungen in ihrem Misstrauen. Den harten Kern schreckt die geringere öffentliche Aufmerksamkeit nicht. Durststrecken kenne die Bewegung nach 25 Jahren zur Genüge, urteilt Stay. „Das kommt und geht.“

Derweil änderte die Bewegung ihre Taktik. Inzwischen fokussiert man sich nicht mehr auf die alljährliche Massenblockade der Atommüll-Rücktransporte aus Frankreich nach Gorleben. Auch Transporte zur Wiederaufarbeitung hin werden nun blockiert – oft an mehreren Orten über ganz Deutschland verteilt. So lassen sich mit wenig Protestlern viele Polizisten beschäftigen – und das kommt teuer.

Doch ist es unsicher, ob die Aktivisten diese Taktik lange durchhalten können. Und ob es den Ausstieg beschleunigt. Klaus Traube, der große alte Vorkämpfer der Anti-Atom-Bewegung, ist da pessimistisch. „Letztlich gibt es ein paar neue Strategien, aber wenig Hoffnung, dass man noch etwas in Bewegung setzen kann.“ Die Bevölkerung interessiere sich nicht genug. Selbst die Gefahr durch Terroranschläge und Schlampereien in Philippsburg hätten bloß für ein kurzes Aufflackern gereicht.

Für Traube sind die langen Laufzeiten der Atomnovelle auch ein Ausdruck der Schwäche der Bewegung. Der Kanzler selbst hatte das den Verbänden vorgehalten, als er sie noch während der Verhandlungen um den Konsens einmal ins Kanzleramt lud. „Die Gewerkschaften kriegen Leute auf die Straße, die Umweltverbände nicht“, erklärte er den Spitzen der Ökoverbände.

So gibt es in der Anti-Atom-Bewegung auch eine Spaltung über die Frage, was nun der beste Weg sei. Einige, vor allem aus den Verbänden, setzen nun eher auf den Klageweg. Henrik Paulitz vom IPPNW ist sicher, dass die Novelle einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten wird. Die Bedrohung durch Terroristen mache ein sofortiges Abschalten erforderlich, das gehe auch aus dem Kalkar-Urteil hervor. Zur Not will er für diese Überzeugung bis nach Karlsruhe ziehen.

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