: Spontan, aber verwirrend
Bund will die Verwendung von Ad-hoc-Meldungen genauer regeln. Unternehmen sind verpflichtet, kursrelevante Tatsachen zu publizieren. Was genau dazu gehören soll, ist jedoch nicht festgelegt
Börsennotierte Unternehmen halten nicht immer, was sie in so genannten Ad-hoc-Meldungen versprechen. Vor allem Privatanleger sind dem Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel zufolge meist nicht mehr in der Lage, den Inhalt dieser Mitteilungen richtig zu bewerten. „Das Problem ist, dass Ad-hoc-Mitteilungen immer öfter als Marketinginstrument missbraucht werden“, sagt Regina Nößner, Sprecherin der Aufsichtsbehörde.
Nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) sind Aktiengesellschaften verpflichtet, potenziell kursrelevante Tatsachen unverzüglich in Ad-hoc-Meldungen zu publizieren. Damit soll die Öffentlichkeit schnell über wichtige Vorgänge in Aktiengesellschaften unterrichtet werden. Was im Gesetz allerdings nicht festgelegt ist: Was ist eine wichtige Tatsache? Und in welcher Form soll sie veröffentlicht werden? Über diese Fragen entscheidet allein die jeweilige Unternehmensleitung. Das macht es schwer, Ad-hoc-Mitteilungen untereinander zu vergleichen.
So könne es vorkommen, dass ein Unternehmensergebnis „vor Steuern“ veröffentlicht wird und in der nächsten Meldung womöglich ein Ergebnis „nach Steuern“ auftaucht, wie Regina Nößner sagt. „Das kann dazu führen, dass eine Meldung, die auf den ersten Blick positiv aussieht, gar nicht so positiv ist.“
Diese Lücke im Gesetz sorgte in den vergangenen Monaten bei vielen Anlegern für manchmal kostspielige Verwirrung: Denn in der allgemeinen Euphorie am Neuen Markt sind Unternehmen zum Teil dazu übergegangen, Ad-hoc-Meldungen zu schönen. Gleichzeitig wurden oft banale Tatsachen spontan gemeldet, was ihnen den Anstrich von Wichtigkeit verlieh. Eine Flut von Zeitungsnotizen war die Folge. Selbst Wirtschaftsjournalisten seien zeitlich nicht mehr in der Lage gewesen, die Mitteilungen einzuordnen, sagt Nößner. Vor allem Anleger, die auf dem Höhepunkt der Börsenentwicklung am Neuen Markt eingestiegen sind und dann im rasanten Kurssturz ihr Geld verloren haben, verweisen auf geschönte Ad-hoc-Meldungen, die sie zum Erwerb der Aktien veranlasst hätten.
Ende September hatte das Landgericht Augsburg zum ersten Mal einem Kleinanleger Recht gegeben, der von einer geschönten Ad-hoc-Meldung in die Irre geführt worden war (Urteil vom 24. September 2001, Az. 3 O 4995/00; nicht rechtskräftig). Der Aktionär aus Dortmund hatte gegen das inzwischen insolvente Augsburger Softwareunternehmen Infomatec AG und zwei Exvorstände geklagt. Durch Ad-hoc-Meldungen habe er sich nach intensiver Beratung zum Kauf der Aktie entschlossen. Doch weil diese Meldungen falsch waren und in der Folge die Firma regelrecht abgestürzt ist, entstanden ihm samt Zinsen mehr als 100.000 Mark Schaden. Und genau die wurden ihm von der 3. Zivilkammer als Schadenersatz zugesprochen.
Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, und Experten bezweifeln, dass es von der nächsten Instanz bestätigt wird. Das Problem: Um die Unternehmensleitung haftbar zu machen, muss man ihr vorsätzliche Irreführung oder grobe Fahrlässigkeit nachweisen. Und zum anderen entsteht der Schaden des Anlegers nicht unmittelbar durch die falsche Meldung, sondern erst durch ihre Korrektur. Es muss also nachgewiesen werden, dass ohne die geschönten Mitteilungen der Aktienkauf unterblieben wäre.
Nun will der Gesetzgeber den Rahmen für Ad-hoc-Meldungen enger stecken. Mit dem 4. Finanzmarktförderungsgesetz soll unter anderem eine einheitliche Form für die Veröffentlichung von Unternehmenszahlen vorgeschrieben werden. Damit werden die Mitteilungen untereinander vergleichbar. Was allerdings wichtig genug ist, um in einer Ad-hoc-Meldung veröffentlicht zu werden, könne auch in einem neuen Gesetz nicht festgelegt werden, sagt Regina Nößner. „Was für große Unternehmen unwichtig ist, kann für kleine Firmen relevant sein. Da kann man nicht alle über einen Kamm scheren.“ Das neue Gesetz wurde bereits vom Kabinett verabschiedet und soll im Frühsommer 2002 in Kraft treten.
Dass beim Boom am Neuen Markt vor allem private Anleger unter nicht ganz korrekten Ad-hoc-Mitteilungen gelitten haben, steht auch für Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut in Frankfurt außer Frage: Wo bei institutionellen Anlegern hoch bezahlte Analysten den Wert der Mitteilungen einordneten, sei dem Kleinanleger oft der Blick fürs Wesentliche verloren gegangen.
„Da wurden Sachen in Ad-hoc-Meldungen veröffentlicht, die eigentlich in Pressemitteilungen gehört hätten.“ Doch in der momentanen Börsensituation seien geschönte Ad-hoc-Meldungen kein Problem mehr, meint Leven. Selbst bei sehr positiven Meldungen blieben Investitionen aus. „Die Anleger haben die Schnauze voll“, sagt Leven.
STEFAN WEILGUNY
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen