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Bis drei muss man zählen können

Denn mehr Starter Kits mit den Euromünzen gibt es nicht in der Frankfurter Sparkasse. Oberbürgermeisterin Petra Roth jedoch fällt das Rechnen schwer

aus Frankfurt/Main HEIDE PLATEN

Bornheim am Montaggmorgen. Die Frankfurter Sparkasse 1822 am Uhrtürmchen ist eine alteingesessene Filiale mit reichlich Kunden jenseits der Erwerbsaltersgrenze. Sie ist gerüstet und hat sich auch auf bange Fragen eingestellt. Filialleiter Norbert Schneider steht in der Eingangshalle und dirigiert: „Zum Euro da lang, an die beiden rechten Schalter, bitte!“ Margarethe Müller (82) fragt schüchtern noch einmal nach: „Wo muss ich mich anstellen?“ Müssen? Aber ja, das meint sie wirklich so: „Wir müssen doch unser Geld abholen.“ Für sie sind die Angestellten hinter den Tresen noch „Bankbeamte“ wie einstmals vor der Währungsreform, Autoritätspersonen, denen man folgen muss. Dass sie die Werbekampagne der letzten Wochen als Verpflichtung zum Geldabholen missverstanden haben könnte, kommt ihr gar nicht erst in den Sinn.

Winzig klein und emsig verschwindet sie in der Schlange schnell zwischen sieben ellenlangen Schülern aus dem Liebig-Gymnasium. Die nutzen die Freistunde zum Erwerb der Starter Kits. Was sie damit wollen? „Damit angeben“, sagt einer. Dann drängeln sich die sieben Köpfe zusammen, beugen sich über die aufgerissenen Tütchen, reichen sich die Münzen zu, schütteln und befühlen sie: „E-U-R-O, Öro, Juro, geil!“

Überhaupt, die neue Währung hat, scheint es, etwas Sinnliches. Viele Kunden sind zuerst verblüfft. Die Tütchen, acht mal zehn Zenimeter, sehen, meint eine, „viel kleiner aus als die im Fernsehen“. Die meisten Käufer aber verlassen die Bank mit einem lächelnden Gesicht, wippen die Erstausstattung in der rechten, dann in der linken Hand, prüfen ihr Gewicht, öffnen, greifen, fühlen, halten die blanken Münzen hoch, drehen die Vorder- und Rückseiten im Licht. Etliche haben sich zwar schon vor der Öffnungszeit gedrängt, der Ansturm aber hält sich in in Grenzen. Das winzige, dezente Absperrband bleibt nur eine Vorsichtsmaßnahme. Schneider ist zufrieden: „Wir haben alles gut im Griff.“

Die Starter Kits gehen auch anderswo geordnet über den Ladentisch. In den meisten Filalen allerdings nur gegen passend abgezählte 20 DM. Bei der Dresdner Bank gegenüber gibt es laut Aushang „maximal zwei Beutel gegen Bargeld“ pro Person, „keine Verrechnung möglich“. Bei der CitiBank werden sie zusammen mit einem blauen Plastikbrustbeutel am Bande ausgegeben. Dazu die Gartis-Information: „Mittwoch, 28. 12. geschlossen wegen Vorbereitungsarbeiten“. Auch ein weiterer guter Ratschlag ist kostenlos: „Statt Schlange stehen – gehen Sie einfach mit Ihrer alten DM einkaufen – bis zum 28. 2. 02“.

In der privaten Bethmann Bank wird nur an die eigenen Kunden verkauft. Da aber drängt sich ohnehin keiner. Andere Geschäftsfelder: ein asiatischer Kunde wechselt stapelweise große Scheine ein. Bei der Deutschen Bank muss passend gezahlt werden, wer das nicht kann, muss erst einmal am Wechselschalter Schlange stehen. Dafür gibt es hinterher zum Trost ein zweites Plastitütchen, Inhalt 12 Gummibärchen.

Zwei ältere Damen erinnern sich an die Währungsreform 1948, als jeder Deutsche 40 Mark Startgeld bekam. „Das war geschenkt“, sagt eine. Die andere hat „gar nichts mitbekommen“: „Ich war in Stellung und das hat alles der Chef gemacht.“

Ein Stück weiter residiert Anette Vogt in der Nassauischen Sparkasse. Auch hier herrscht eine Stunde nach der Öffnung kein Gedränge mehr. Wie viele Kits sind in der ersten Stunde ausgegeben worden, wie viele noch vorrätig? Das will und darf sie aus Sicherheitsgründen nicht verraten: „Wir sagen nie, wie viel Geld wir vorrätig haben.“ Bei allen Banken hessenweit sind laut Landeszentralbank genau 5.058.000 Tüten abgepackt. Bei erhöhter Nachfrage dürfen aber auch lose Münzen ausgeben werden.

Der Startschuss zur Euro-Ausgabe war schon neun Stunden zuvor auf dem Börsenplatz in der Frankfurter Innenstadt gefallen. Die Stadt und die Frankfurter Sparkasse hatten gemeinsam zum Event geladen. Der bestand vor allem aus heißem Apfelwein, Musik, dem einheimisch babbelnden Börsen-Moderator Frank Lehmann und sonstiger bodenständiger Prominenz einschließlich des Bundesbankpräsidenten Ernst Welteke und der Oberbürgermeisterin Petra Roth. Die haute Punkt 24 Uhr auf einen Riesengong und eilte dann hinter den ab Mitternacht geöffneten Bankschalter. Roth verkaufte Euro. Karl-Heinz B. verlangt zwei Päckchen à 20 Mark, zahlt mit einem 100-Mark-Schein. Petra Roth rechnet: „Da bekommen Sie 40 Mark wieder raus.“ Der Bankangestellte hinter ihr flüstert ihr diskret ins Ohr: „Sechzig, Frau Roth, sechzig!“

Der Rest der 20 hauseigenen Helfer in dieser Nacht ist auch nicht direkt vom Fach. Pressesprecher Peter Sahl hat seine PR-Abteilung mitgebracht. Sie müssen bis drei zählen können, denn mehr Tütchen pro Person gibt es nicht. Sigrid Bothe macht das gerne: „Wir entlasten damit Kollegen, die morgen ran müssen.“ Sie wird gefragt, was sie machen wird, wenn jemand mit einem 1.000-Mark-Schein bezahlen will. „Den schick ich wieder heim!“ Dazu kommt es erst einmal nicht, denn vor lauter Kameras gelangt kein Kunde an ihre Kasse.

Was will die Dame im Nerz, die sich gleich mehrfach anstellt, mit den vielen Euro-Münzen: „Sammmeln und aufheben für die Enkel.“ Andere wollen zwar auch dabei sein, sind aber nicht so begeistert. „Wir haben hier heute gutes Geld für schlechtes gegeben“, sagt ein Mann. Viele der Tütchen werden als Weihnachtsgeschenke gehortet. Und was konnte man gestern außerdem mit den neuen Münzen machen? 50 Cent und ein Euro sind zu dick für den Schlitz im Fahrscheinautomaten, die 2-Euro-Münze rutscht durch, ein Ticket gibt es nicht. Und auch keine Brötchen. Die Zeitungsfrau will sie ebenso wenig wie der Gemüsehändler: „Euro, nix! Erst nach Silvester.“ Der Süßwarenautomat an der U-Bahn ist schon umgestellt und spuckt einen Kuchen, der vorher eine Mark kostete, für nach oben abgerundete 50 Cent aus. Euro als Trinkgeld sind auch kein voller Erfolg: „Sind die echt?“, fragt der Mann von der Telefongesellschaft, ehe er sich richtig freut.

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