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Poesie per Helikopter

Mohsen Makhmalbafs Film „Reise nach Kandahar“ ist ein Roadmovie durch das noch von den Taliban beherrschte Afghanistan. Die ornamentalen und poetisierenden Bilder des Regisseurs sind allerdings durchaus diskutabel

von ANDREAS BUSCHE

Mohsen Makhmalbafs neuer Film „Reise nach Kandahar“ muss im Kontext der aktuellen politischen Entwicklung gegen einige Bilder gelesen werden, die im November um die Welt gingen. Afghanische Männer tanzen auf den Straßen von Kabul zu westlicher Musik, unverhüllte Frauen jubeln in Kameras und feiern den Sturz des Regimes der Taliban. Diese Bilder hatten eine beängstigende Verbindlichkeit in der Argumentationslogik der westlichen Kriegsallianz, genauso wie kurz zuvor Aufnahmen von abgeworfenen Carepaketen oder von überfüllten Flüchtlingscamps: Dieser Krieg war ein sinnvoller, ja nötiger Krieg, weil er eben nicht gegen die afghanische Bevölkerung geführt wurde, sondern im Gegenteil Linderung der jahrzehntelangen Schmerzen versprach.

Die CNN-Bilder aus Kabul markierten damit sozusagen das (nicht mehr für möglich) gedachte Happy End von „Kandahar“, der bereits im Mai in Cannes mit einem Spezialpreis ausgezeichnet wurde. Niemand hätte damals erwartet, dass es zum Krieg kommen würde, noch dass es jemals mehr als eine kleine Fraktion von Aktivisten ernsthaft interessieren könnte, unter welchen Bedingungen die Menschen, insbesondere die Frauen, in Afghanistan lebten.

„Reise nach Kandahar“ ist Kriegs- und Katastrophenfilm. „Das Einzige, was hier in Afghanistan modern ist, sind die Waffen“, sagt der amerikanische Arzt Tabib Sahib zu der Journalistin Nafas – die Krise des Humanitären gegen die Legitimation eines archaischen Waffenrechts. Nafas ist aus Kanada in ihre Heimat zurückgekehrt, weil ihre Schwester in einem Brief von ihrem geplanten Selbstmord geschrieben hat, am Tag der großen Sonnenfinsternis. Das Regime, die Armut, der alltägliche Tod, das alles sei zu viel für sie. Die Schwester befindet sich in der Stadt Kandahar, und Nafas begibt sich direkt nach ihrer Ankunft in Afghanistan auf eine gefährliche Reise durch das völlig desolate Land.

Entstanden ist „Reise nach Kandahar“ unter erschwerten Bedingungen im Grenzgebiet von Afghanistan und Iran, was man dem Film in jeder Sekunde ansieht. Makhmalbafs reportageähnlichem Stil kommt die improvisierte Form zu Gute. Auf Schauspieler im herkömmlichen Sinne hat er gleich ganz verzichtet; seine Darsteller wurden direkt am Drehort gecastet und hatten noch nie zuvor einen Kinofilm gesehen. Die formalen Freiheiten, die ihm dieser Dokumentaransatz verschafft, überfordern Makhmalbaf allerdings auch sichtlich. Die Folgen des Talibanregimes liefern ihm vor allem einige sehr anschauliche Elendstableaus, die er etwas zu eindrucksvoll in Szene zu setzen weiß. Die Unterdrückung der afghanischen Frauen und die Armut der Bevölkerung wird ausgestellt, ohne eine Anbindung an die historischen oder politischen Kontinuitäten in der Entwicklung des Landes zu finden. Es ist ganz bestimmt richtig, dass das Regime der Taliban kein religiös-politisches System war, wie Makhmalbaf kürzlich in der taz meinte, sondern ein System der Unterdrückung, trotzdem reicht es nicht, diese Tatsache lediglich reich zu bebildern.

Als Kriegsberichterstatter fehlt Makhmalbaf die Hartnäckigkeit, hinter die äußeren Zustände zu blicken, was man ihm in seiner Situation nicht einmal vorwerfen kann. Als Poet ist er in Afghanistan allerdings schlichtweg fehl am Platz. Das Wechselspiel von Dokumentar- und Spielfilmelementen führt zu einigen sehr ungenauen Darstellungen und einer inkohärenten Bildsprache, die nur für äußerst zynische Gemüter als surreal zu lesen ist. Beinprothesen, die an Fallschirmen für die Flüchtlingslager abgeworfen werden, verlieren ihre poetische Qualität angesichts der sehr realen Not in den Camps. Bei Makhmalbaf jedoch strömt die Masse der Minenopfer synchron wie in einem olympischen Wettbewerb nach der lebenswichtigen Beute aus. Vom Helikopter aus gibt das wunderschöne Ornamente.

Der Zeitpunkt hätte für „Kandahar“ nicht besser sein können. Heute trifft der Film auf ein Interesse, das weit über die üblichen Cineasten-Zirkel hinausgeht. Das ist gut für Makhmalbaf. Medial gesehen setzt „Reise nach Kandahar“ zu diesem Zeitpunkt jedoch auch eine ganz bestimmte Kontinuität von Fernsehkriegsbildern fort, deren assoziativer Wirkung er sich nicht entziehen kann.

Im taz-Interview befürchtete Makhmalbaf ein verstärktes Interesse an seinem Film aus Gründen „politischer Rache“, nicht aus humanitärem Interesse (die politische Rache und das Humanitäre wurden im Übrigen schon in der Rhetorik der US-Regierung auf wundersame Art und Weise in Deckung gebracht). Der Vermischung von beidem hat er selbst jedoch durch die Hermetik seiner Darstellung Vorschub geleistet.

Plötzlich, am Ende des „Jahres des 11. September“, lässt sich sein ambitionierter Film auch in einer Reihe mit inzwischen etablierten Bildern der amerikanischen Rechtfertigungslogik lesen. Das ist das Schicksal von „Reise nach Kandahar“. Das Kino ist oft schon schneller gewesen als die Wirklichkeit. Manchmal wird es einfach von ihr überholt.

„Reise nach Kandahar“. Regie: Mohsen Makhmalbaf. Mit Niloufar Pazira,Hassan Tantai u. a. Iran, 2001, 84 Min.

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