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bascha mika über LeidenschaftenDie untertourige Kraft der Hartnäckigen

Jahresrückblick: Angela Merkel lächelt gern töricht in die Kamera und setzt unbeirrt ihren Weg fort – nach oben

Angela Merkel bekommt einen Orden. Den vaterländischen Verdienstorden am Bande für „Leidenschaft und Politik“ 2001. Das wird sie sicher freuen, sie kennt das ja noch aus der Schule in der DDR. Da war sie auch immer die Beste, und wer am besten war, bekam eine Medaille. Niemand denkt bei Leidenschaft an Angela Merkel? Ein Fehler. Der liegt zweifellos darin begründet, dass sowieso niemand an Leidenschaft denkt und Politiker meint. Wer starke Begehrlichkeit, einen unzähmbaren Gefühlsdrang oder so etwas wie Begeisterung bei einem Vertreter der politischen Klasse zu entdecken meint, flüchtet sich lieber in den Hilfsbegriff „Vollblutpolitiker“.

Eigentlich will man sich Politiker ja gar nicht so genau ansehen, sondern es stillschweigend oder mit Schillers „dieser Charakter gefällt mir nicht“ bewenden lassen. Kommt man um die Betrachtung dann doch nicht herum, drängen sich unmittelbar drei Typen auf.

Der jesuitische Typ: Die Statur erinnert fade an eine Hungerharke (Merz), das Gesicht ist von kaltem Ehrgeiz zerfressen (Stoiber), als Folterwerkzeug setzt er seine Aktenkenntnis und seinen verinnerlichten Rechenschieber ein.

Der Ringertyp: benutzt bereits seine körperliche Präsenz als politisches Drohmittel (Schlauch), ist maßlos stolz auf seinen rhetorisch fiesen Würgegriff (Fischer) und glaubt überhaupt, alle Tricks und Überlebenstechniken im politischen Schlachtenschlamm zu beherrschen.

Der neutrale Typ, kurz das Neutrum: Es stellt die größte politische Klasse und rekrutiert sich bedauerlicherweise mehrheitlich aus Frauen. Das Neutrum arbeitet bienenfleißig, versucht seiner Unsichtbarkeit durch ein schrilles Accessoire zu entkommen und kann nichts dafür, dass seine Stimme bei Reden im Parlament einfach wegkippt. Dass es von Parteikollegen als nützlicher Idiot betrachtet wird, ist ihm schmerzlich bewusst, und manchmal träumt es davon, dass seine Stunde bei dpa schlagen möge und es endlich mal eine Nachricht wert sei.

Mit dem Vollblutpolitiker haben diese Typen nichts gemein. Er ist der Ausnahmefall. Ein bösartig schlaues politisches Tier, das durch seine Zügellosigkeit und Amoralität alle verblüfft. Als Musterexemplar gilt bis heute der CSU-Bayer Franz Josef Strauß. Der walzte den politischen Gegner schlicht nieder, legte mit sagenhafter Hemmungslosikeit Gesetze sehr persönlich aus, war im konspirativen Geschäft sehr bewandert, und wenn er mit seinen Politkumpanen nicht fraß und soff, ließ er sich in New York mit geklauter Brieftasche und besinnunglos berauscht in der Nähe eines Bordells erwischen.

Man stelle sich das bei Angela Merkel vor, dem mächtigen Mädchen, der Klassenbesten. Und alles sträubt sich. Mehr Anschauung braucht es nicht, um zu wissen: Das ist keine Vollblutpolitikerin alten Stils, ihre politische Leidenschaft muss eine andere sein, als die eines Strauß. Die K-Frage, das Übel der Heckenschützen in der eigenen Partei, das Starke-Angie-schwache-Angie-Spiel, das ihre Parteifreunde voll Inbrunst betrieben, hätte Strauß gelöst, wie die Amerikaner das Talibanproblem.

Und was macht Angela Merkel? Sie lächelt ein bisschen töricht in die Fernsehkameras, droht ihren innerparteilichen Widersachern mit hellem Stimmchen und erhobenem Zeigefinger leise Ungemach an, und wenn sie von Macht spricht, klingt das aus ihrem Pfarrerstochtermund unbenutzt und ein bisschen schmutzig.

Vielleicht ist es ja ihre DDR-Geschichte – jendenfalls tut sie so, als würde sie die Machtkämpfe um sie herum erst dann kapieren, wenn die Bild-Zeitung berichtet. Offene Auseinandersetzung war schließlich nichts, womit man sozialistisch Punkte sammeln konnte. Noch heute sagt sie nur sehr angestrengt, was sie eigentlich will. Und wahrscheinlich hat sie es sowieso immer schon so gehalten, hat ein bisschen tolpatischig Schritt für Schritt gemacht, ohne dass so recht jemand merkte, wohin es sie eigentlich trieb. Nach oben nämlich.

Mit Leidenschaft? Mit der heimlichen Leidenschaft des Sisyphus für seinen Arbeitsauftrag! Er soll die Kugel hochrollen und nicht oben ablegen. Wie Angela Merkel. Beim Parteitag als CDU-Darling bejubelt, zwei Tage später erneut von ein paar christdemokratischen Schüssen in den Rücken getroffen – ein ärgerlicher Rückschlag, Pech –, weitergemacht. Mit der untertourigen Kraft der Hartnäckigen, der Bergsteiger. Sparsam in den Bewegungen, kaum spürbar beim einzelnen Tritt, doch jeder, der sich die Strecke ansieht, die Angelas Merkel in ihrem politischen Leben zurückgelegt hat, wundert sich still.

So sehen sie eben aus, die neuen leidenschaftlichen Politikmacher. Und es ist, nebenbei, auch das Höchstmaß an Leidenschaft, das wir bei ihnen ertragen können.

Fragen zu Leidenschaft?kolumne@taz.de

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