■ UrDrüs wahre Kolumne: Hasardeure der Modern Times
Älteren LeserInnen wird ein betagtes Kinderspielzeug noch ein Begriff sein, das aus einem mutmaßlich heterosexuell orientierten Hartgummi-Puppenpärchen in Trachtenkleidung bestand, das sich durch Drehung eines Magneten entweder herzhaft küsste oder trotzig voneinander abkehrte. Am Heiligabend erblickte ich just diese Reminiszenz an Jugendtage unter dem Namen „Romeo und Julia/Kissing Dolls“ in einem Fachgeschäft für Geschenkartikel. Doch welch zeitgeistige Veränderung: Sowohl Romeo als auch Julia waren Mädels in rotem Rock! Weiß der Einzelhandel, welche Probleme er damit für die sexuelle Orientierung junger Menschen aufwirft? Ist schwule oder lesbische Identität inzwischen Voraussetzung, um noch akzeptiert zu werden? Ich wünsche und erwarte, dass die senatorischen Gleichstellungsämter dieser Welt sich des Falls annehmen!
Alle Jahre wieder versuchen Last Minute-Schnäppchenjäger, noch kurz vor dem Heiligabend-Gottesdienst ein Bäumchen zum Superniedrigpreis zu erstehen: eine Spekulation, die in die Hose gehen kann, wie mir ein wutschnaubender Mitbürger deutlich machte, der gegen 14 Uhr mit einem Strunk von geradezu dramatischer Dürftigkeit durch die Straße grummelte und mir zubrüllte, dass diese hundertdreissig Zentimeter Erbärmlichkeit ihn noch dreißig Mark gekostet hätte ... Mitleid indessen stellte sich bei mir nicht ein, nur der erhabene Stolz auf den eigenen Baum, der so ausladend und hochragend das Wohnzimmer bei uns noch bis zum Dreikönigstag prägen wird: Irgendwie kommen mir solche Tannenbaum-Spekulanten wie jene depperten Nemax-Aktionäre vor, die uns vor dem Fall ihrer Papiere noch stets mit dem überlegenen Gierhals-Lächeln angrinsten, wenn wir uns ihrem Blendwerk als Hasardeure der Modern Times nicht zuwenden wollten: Hinterher lacht sich's auch ganz gut!
„Weihnachtszeit,Abschiebezeit!“ Dieser taz-Beitrag zur bekannten Unbarmherzigkeit der Abschiebebehörden war angetan, in Predigten der Christenheit klar zu machen, dass Herodes immer noch lebt und die Kinder jagt. Legal und im Einklang mit dem gesunden Empfinden jener, die bei ihren Volkszählungen den Geburtenrückgang bejammern, aber keinen Raum in der Herberge haben. Haben sich Angehörige des Ausländeramtes in glühweinseliger Betroffenheit nach der Lektüre vom Fallturm gestürzt? Und ist etwas von Rücktritten im Senat bekannt? Nein? Das alles nicht? Und auch sonst alles frisch? Deshalb und darum haben wir den Glauben an den Weihnachtsmann verloren! Das Christkind aber raunte uns zu: „Habe doch nur eure Hände, um meine Werke zu tun!“ Hoch die internationale/Kinderschokolade, mit dem roten Band der Sympathie ...
Also doch! HAIR verliert seine letzten Haare, und für die ganzen Glatzen des Ensembles findet sich kein Schulenberg der Welt, wenigstens eine Perücke zu spendieren. Wahrscheinlich müssen die Mimen erst einen auf Skins machen, dann wird das Mjusical als Projekt für akzeptierende Arbeit mit Gewaltbereiten ohne Perspektive übernommen.Wenn wir der Welt nur genügend Angst vor dem marodierenden Haufen machen, gibt es EU-Mittel für Randgruppenarbeit: Dann regiert die Erde der Wassermann! Aber das hätte man im alten Zentralbad viel einfacher haben können ...
Nachdenklich stimmt mich die taz-Meldung mit dem Titel „FDP für Ausbau der Mordkommission“. Wird selbst der Bereich des Gewaltverbrechens jetzt noch verstaatlicht und zur hoheitlichen Aufgabe gemacht? Und das ausgerechnet von den Liberalen? Im Neuen Jahr wird wohl einiges im politischen Koordinatensystem durcheinanderkommen – sollte man die Wahlen da nicht vorsichtshalber aussetzen? Fragt sich und dich Ulrich „K-Frage“ Reineking
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