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Schwarze Hände für den Frieden

Der Arbeitskreis Nahost, eine Berliner Version der „Frauen in Schwarz“, organisiert regelmäßig Mahnwachen für den Frieden in Palästina und Israel. Und wenn der Auftritt auch harmonisch erscheint, die inneren Konflikte spiegeln das schwierige Thema

Fritz Teppich: „Weder pro-israelisch noch pro-arabisch – wir sind für den Frieden“

von NADINE GARLING

Große Hände ragen in die Luft. Sie sind aus Pappe, schwarz angemalt. Und auf den Riesenhänden steht zu lesen: „Ende der Besatzung, Freiheit für Palästina und Israel“. Die flache Hand mit den ausgestreckten Fingern ist nicht irgendein Symbol, ist es doch in Israel auf jedem Stoppschild zu sehen.

Seit Wochen ragen an jedem zweiten Samstag vor dem Kranzler-Eck die Papphände in die Höhe und rufen zum Stopp der israelischen Besatzung in den Palästinensergebieten auf. Gehalten werden sie von einer kleinen Menschengruppe, die, in einer Reihe aufgestellt und schwarz gekleidet, beharrlich für den Frieden in Nahost demonstriert. Abgeschaut haben sich die Protestierer des „Arbeitskreises Nahost Berlin“ diese Form der Mahnwache von den „Women in Black“, den palästinensischen Frauen in schwarzer Tracht, die seit dem Beginn der ersten Intifada dort auf die Straße gehen.

Doch anders als in Nahost versucht man in Berlin das Unmögliche: Israelische, jüdische, palästinensische, arabische und deutsche Menschen treffen sich am Kranzler-Eck und formulieren gemeinsam Ziele im Nahost-Konflikt: die Anerkennung eines souveränen Staates Palästina, die Aufgabe aller israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten und das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge. Die Zeichen der Einigkeit verdichtet ein Spruchband, das die Demonstranten symbolisch verbindet: „AK-Nahost. Juden, Deutsche, Israelis und Palästinenser“. „Wir haben starke Resonanz auf unsere Aktion“, sagt Doro, die seit einem Jahr beim Arbeitskreis teilnimmt. „Manchmal reagieren Leute auf uns, indem sie vor uns ausspucken oder uns beschimpfen, aber manchmal fragen sie auch, ob sie sich zu uns stellen können.“

„Ihr seid doch pro-arabisch“, sei er von einem Passanten angefahren worden, erzählt der 83-jährige Fritz Teppich, Berliner Jude und Holocaust-Überlebender. „Weder pro-arabisch noch pro-israelisch“, habe er geantwortet, „wir sind für den Frieden.“ Und die Politologin Thea Geinitz, mit 41 Jahren eines der jüngeren Mitglieder des AK-Nahost, verdeutlicht, warum der Friedensprotest manchmal auf Ablehnung stößt, und benennt Missverständnisse, mit denen sie konfrontiert werden: „Schrecklich, dieses Entweder-oder. Wenn du Israel kritisierst, bist du automatisch Antisemit. Aber verdammt, das sind wir nicht!“

Auch wenn der gemeinsame Auftritt der Gruppe so harmonisch erscheint, innerhalb des Arbeitskreises selbst, der seit fast 20 Jahren existiert, spiegelt sich das schwierige Thema. Um jeden Kompromiss müsse hart gerungen werden. Der jüngste Konflikt ist dafür ein Beispiel: Die palästinensischen Mitglieder wollten zu einer der letzten Mahnwachen die palästinensische Fahne mitbringen. Es gab viele Gegenstimmen, denn die Gruppe wolle neutral bleiben, erzählt ein Mitglied. Die Palästinenser erschienen daraufhin nicht zur Demonstration. Ein Rückschlag? Vielleicht. „So etwas wie die Mahnwache machen wir erst seit etwa einem Jahr, davor haben wir ausschließlich Bildungsarbeit geleistet“, erklärt Doro mit dem Hinweis auf die monatlich stattfindenden Diskussionen. „Wir sind auch eher eine informelle Gruppe“, Informationen über den AK-Nahost seien noch Mangelware. „Auch unser Symbol ist noch sehr jung.“ Das Zeichen ist eine Spirale, die immer enger wird und sich dann doch wieder nach außen öffnet: raus aus der Gewaltspirale.

Das Ende der Gewalt ist die Triebfeder des Arbeitskreises, aber auch Kommentare von Passanten, wie zum Beispiel der eines älteren Herrn, der vor der Israelin Ruth und dem Algerier Selim stehen blieb und sagte: „Ich hab da mal eine Frage. Warum hauen die sich da dauernd die Köpfe ein?“ Fast alle Teilnehmer des Arbeitskreises haben die Auseinandersetzungen in Israel mit eigenen Augen gesehen, ganz gleich, ob sie in der Region geboren wurden, lange dort lebten oder nur für einige Zeit zu Besuch in Israel waren. Ihre Eindrücke und die Hoffnung, dass es trotzdem einen Frieden zwischen Palästinensern und Israelis geben kann, motivieren sie, den Dialog in Berlin fortzuführen.

Und es wenden sich auch Menschen wir Ruth Konradt und ihr Mann an die Demonstranten. Sie erzählen die Geschichte ihres Sohnes, der gerade in Israel Zivildienst leistet und von unmenschlichen Zuständen dort berichtet. Israelische Soldaten sollen Palästinenser im Regen dazu gezwungen haben, sich bis auf die Unterhose auszuziehen. Das Ehepaar interessiert sich für weitere Aktionen und will sich am zweiten Samstag im Januar, wenn die Mahnwache sich wieder vor dem Kranzler-Eck postiert, mit in die Reihe stellen: in schwarzer Kleidung und mit einer schwarzen Papphand.

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