kaltakquise am fettabscheider:
von WIGLAF DROSTE
Herzwärmend ist die Lyrik des Alltags. Im Treppenhaus der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz lese ich seit Jahren mit nie erlahmender Begeisterung das Wort Wandhydrant. O ja: Wandhydrant, Wandhydrant, viel schöner als der Wannseestrand ist doch so ein Wandhydrant! Das ist das Glück der regressiven Reimredundanz: Wandhydrant, Wandhydrant, immer wieder Wandhydrant! Man möchte nie mehr aufhören damit: Wandhydrant, Wandhydr. . . – ääh, nun gut, ich kenne auch noch andere Wörter. Auf die Rückseite eines LKWs hat jemand geschrieben: „Brummikummer? – Servicenummer!“ Kummer auf Nummer ist zwar bis zum Gehtnichtmehr durchgelatscht und der Dämon des manischen Reimzwangs speziell zu Werbezwecken oft der allerschlechteste Berater, aber geschenkt: Solange es Menschen gibt, die mit großem Kinderernst ein Wort wie Brummikummer ersinnen, will mir nicht bange werden.
Wandhydrantisch magisch ist auch das Wort Bin Laden. Weich und geschmeidig liegt der Name im Mund und reizt zur Repetition, zur Damelei, zum Herumalbern und Spielen. Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar tauchen aus der Erinnerung auf, wir wickeln uns Bettlaken um den Kopf und machen uns an eine Neuverfilmung von Karl Mays „Der Schut“, selbstverständlich mit Bin Laden in der Titelrolle und einem Showdown an der Verräterspalte: Ein letzter Gin, Bin, Faust unters Kinn, Bin, dann bist du hin, Bin, mehr ist nicht drin, Bin, war das der Sinn, Bin?
So viele sinnfreie Freuden hat der Name Bin Laden beschert: „Bin Laden? Bin gleich wieder da!“, scherzte der türkische Gemüsehändler, und die wahren Anhänger des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber nennen ihn seit dem 11. September 2001 nur noch ehrfürchtig Dr. Edmund Bin Loden. „Keine Namenswitze!“, ruft sehr unheiter ein Redakteur dazwischen. „No jokes with names! Hört auf zu kalbern!“ Das ist schade, denn Sprache ist auch zum Dölmern da. Niemals sonst hätte sich eine Berliner Band den großartigen Namen PillePalle und die ÖtterPötter geben können.
Wie fahl und flach dagegen ist die Begrifflichkeit der Erwachsenenwelt! Was die großen Wichtigs für hässliche, mundsäuernde Wörter haben: Kaltakquise – so nennen sie das telefonische Baggern bei Fremden, den so genannten Erstkontakt, auch das ein Wort wie Zähneziehen. Möge die Kaltakquise stets von der Kaltmamsell besorgt werden, in der Betriebskantine, am Fettabscheider.
Dem triefenden miefenden Fettabscheider nah verwandt ist der Entscheiderkontakt. Was das ist? Bestürzend langweilige, elendiglich konventionelle Herren, die „ins Meeting gehen“ und darüber reden, entscheiden dies und das und sind deshalb: Entscheider. Wenn einer von ihnen im Flugzeug das Handelsblatt aufklappt, ist zwischen blätterndem Krawattnik und Zeitung der Entscheiderkontakt hergestellt. Viel wertiger als ein simpler Entscheider ist natürlich der Topentscheider. Und wenn so ein Topentscheider erst mal Sofortkontakt hat . . . – dann wackeln Wand und Wandhydrant.
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