: Globalisierung tötet Russen
Vom Abenteuer, im Kapitalismus einen Kabelanschluss freischalten zu lassen
Eigentlich wollte ich nur meinen Kabelanschluss freischalten lassen. Aber es war gerade Globalisierung, und deshalb kam alles ganz anders. Nämlich so: „Ja, wissen Sie“, sagte die schlaue Frau Telekom, „das ist privatisiert worden.“ Au fein, freute ich mich innerlich, dann herrscht da jetzt auch endlich Konkurrenz, hire and fire, und alles geht viel schneller, schöner und besser!
Frau Telekom gab mir eine privatisierte Nummer, ich wählte und landete gleich wieder bei der Telekom. Diesmal bei Herrn Telekom. „Wissen Sie, das ist priva . . .“ – „Weiß ich“, sagte ich, „wo muss ich anrufen?“ – „Wo wohnen Sie denn?“, kam es zurück. „Was spielt das denn für eine Rolle?“, wollte ich wissen. „Ja, wissen Sie, das ist nach Städten privatisiert worden.“ Welch praktische Idee! Kein Kompetenzwirrwarr mehr. Klare Aufteilungen. Privatisierung at its best. Ich erhielt die Nummer von Kabel Berlin und war glücklich. Bis zum Besetztton, der ungefähr drei Tage lang zu jeder Tages- und Nachtzeit ertönte.
Dann endlich: Ein Kabelmensch nahm ab. „Wo wohnen Sie?“, blaffte es aus dem Hörer, noch bevor ich meinen Wunsch vorgetragen hatte. „In Berlin“, sagte ich. „Ja, wissen Sie, das ist . . .“ „ . . . privatisiert worden, ich weiß“, sagte ich. Herrgott noch mal, waren die Mitarbeiter bei der Privatisierung gleich noch geklont und gehirngewaschen worden? „ . . . wissen Sie, das ist nach Straßen privatisiert worden, wo wohnen Sie denn? Schönhauser Allee? Warten Sie mal.“ Das Endlosdüdelüdüü war dasselbe wie überall. Nach dreitrilliarden Minuten dann: „Nee, die Straße ham wa nich.“ Wer denn dann? „Kann ich nich sagen, da müssen Se bei der Telekom fragen.“ Dort wieder erst Frau Schlau, dann Herr Telekom mit „Ja, wissen Sie“, dann endlich die Nummer der Firma, die sich wohl wie bei Monopoly meine Straße gekauft hatte. Ich rückte drei Felder vor und wählte.
Anrufbeantworter. Geschäftszeit sehr kurz, Feierabend sehr, sehr lang, und jeden zweiten Tag wurde anscheinend nicht gearbeitet, sondern über die Globalisierung nachgedacht.
„Wo wohnen Sie denn?“, fragte es endlich. „In der Straße, die Sie betreuen“, trällerte ich triumphierend, „ist doch alles privatisiert worden, nicht wahr?“ – „Ja schon, aber nach Häusern“, kam die Antwort, die mich einen Moment sprachlos machte. „Welche Nummer?“ Ich ahnte etwas, und so blieb ich gefasst, als nach meinem „Nummer 62“ prompt ein „Ham wa nich“ folgte.
Privatisierung heißt eben auch flexibel sein, sich durchkämpfen und am Ende den preiswertesten Anbieter aufspüren, dachte ich und hatte endlich, endlich Erfolg: „Ja, seh ich hier im Computer, 62, alles klar“, säuselte eine Kabelfrauenstimme. „Wenn es geht, würde ich gern ab dem Monatsersten gucken können“, flötete ich glücklich. Der zufriedene Endverbraucher hatte seinen Nischenanbieter, der sich im freien Spiel der Konkurrenz sein Marktsegment, seine Berliner Einzelkabelhäuser, gesichert hatte, nach langer Odyssee gefunden.
Kapitalismus funktioniert eben doch. Nicht immer reibungslos, aber immer noch besser als zehn Jahre lang warten auf . . . – „Vorderhaus oder Hinterhaus?“, unterbrach die Kabelfee meinen Gedankenfluss. „Ähm, es gibt kein Hinterhaus“, klärte ich sie auf. „Okay, also Vorderhaus“, tirilierte es in meinen Ohren, und ich entspannte mich. „Rechter oder linker Seitenflügel?“ – „Wissen Sie“, trällerte ich zurück, „es gibt in meinem Haus weder einen rechten noch einen linken Seitenflügel.“ Stille. Tastaturklappern. Dann herrisch: „Nein, das kann nicht sein.“ Ich ballte die Faust und sagte ruhig: „Doch, das ist einfach so.“ – „Bei uns im System sieht das aber anders aus“, trotzte die Kabelfrau. „Bei mir im Haus sieht es immer so aus“, setzte ich nach. „Also“, versuchte sie es noch mal unheimlich freundlich, als spräche sie mit einem uneinsichtigen Kranken, „stellen Sie sich jetzt mal vor, Sie stehen im Hausgang. Gehen Sie dann links oder rechts rauf? Hmmm?“
In diesem Moment erwog ich, mein künftiges Leben als Kabelnetzterrorist zu verbringen. Dieses ekelhafte dummprivatisierte Schweinesystem lies einem einfach keine andere Wahl: sozialistische Revolution oder Kabelbarbarei. Meine Hand umklammerte den Hörer, als gelte es, eine Giftschlange zu erwürgen. „Verstehen Sie“, öngelte es in mein wundes Ohr, „Sie haben ja praktisch nur zwei Möglichkeiten: rechte oder linke Treppe?“
„Linke“, zischte ich mühsam, „geben Sie halt verdammt noch mal links ein, auch wenn es das in meinem Haus auf dieser Welt nicht gibt!“ – „Ja aber ich kann doch nicht einfach . . .“ – „Liiinks!!“ schrie ich nun, „Sie! Geben! Jetzt! Soforrt! Liinks! Ein! Oder ich werde Sie morgen persönlich und per Vorschlaghammer völlig asozialverträglich wegrationalisieren, Personal abschmelzen, verstehen Sie!“
Plötzlich ging es: Erst erklang ein „Wir schicken jemanden vorbei“, dann kam Tage später ein russischer Techniker. „Also ich nixx verstähh“, sagte der Kabelrusse im Keller, „nixx riktig hier.“ Dann, nach einigen Minuten der Meditation über einem Schaltkasten: „ßie wohne vierte Stock? Vierte Stock, ja? Das mach andere Firma, nixx meine Firma.“
Wenn Sie morgen in Berlin die Schönhauser Allee lang fahren und einen toten Russen sehen, fahren Sie weiter. Wissen Sie, so ist halt nun mal die Globalisierung. Es gibt auch Verlierer.
MATTHIAS THIEME
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