: Alle Neubürger unter Generalverdacht
Jeder, der sich einbürgern will, wird generell vom Verfassungsschutz überprüft. PDS spricht von Skandal
BERLIN taz ■ Still und heimlich haben Bund und Länder im Schatten der Anschläge vom 11. September bei Einbürgerungsverfahren die generelle Regelanfrage bei den Verfassungsschutzämtern eingeführt. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke hervor. Dies betreffe auch Anträge auf Einbürgerung aus der Zeit vor dem 11. September 2001. In Bayern wird die Regelanfrage seit 1998 vorgenommen. Als Reaktion auf die Ereignisse vom 11. September, heißt es in dem Schreiben, „haben die für die innere Sicherheit verantwortlichen Innenminister der Länder angeordnet, dass vor Entscheidungen über Einbürgerungen Regelanfragen bei den Verfassungsschutzbehörden durchgeführt werden“. Rechtsgrundlage sei die Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999, die einen Einbürgerungsanspruch dann ausschließt, wenn Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche oder extremistische Betätigung eines Bewerbers vorliegen. Die Bundesregierung räumt aber ein, dass die Regelanfrage „weder im Gesetz noch in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht ausdrücklich vorgeschrieben“ ist.
Die PDS-Abgeordnete Jelpke sprach gestern gegenüber der taz von einem „Skandal“. Die Bundesregierung bestätige in ihrer Antwort nicht nur „den Generalverdacht gegen Ausländer“, sondern auch die „ungehinderte Datenweitergabe“ zwischen Verfassungsschutz, Polizei und den für Einbürgerung zuständigen Landesbehörden. Cem Özdemir, innenpolitischer Sprecher der Grünen, erklärte gegenüber der taz, dass mit der Regelanfrage die Gefahr einer Stigmatisierung der in Deutschland lebenden Ausländer einhergehe. Er könne den Nutzen nicht nachvollziehen, wenn „die 79-jährige türkische Großmutter, die sich einbürgern will, vom Verfassungsschutz überprüft wird“.
Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz zeigte sich gestern auf Anfrage überrascht, dass die Regelanfrage bereits „flächendeckend“ gestellt werde. Er wies darauf hin, dass eine Anfrage rechtens sei. Wiefelspütz betonte aber, dass „von der Gelegenheit, den Verfassungsschutz einzusetzen, nur gezielt Gebrauch gemacht werden“ sollte.
Die seit Jahren umstrittene Regelanfrage wird nun mit Ausnahme von Sachsen in allen Bundesländern praktiziert. Sachsen hat allerdings die notwendigen Schritte zur „Schaffung entsprechender Rechtsgrundlagen eingeleitet“. Die Bundesregierung sieht daher auch keinen Handlungsbedarf, das Ausschnüffeln einbürgerungswilliger Ausländer bundeseinheitlich vorzuschreiben. Wie viele Einbürgerungswillige von der Regelanfrage betroffen sind und welche Auskünfte bei den Verfassungsschutzämtern eingeholt wurden, geht aus dem Schreiben der Bundesregierung nicht hervor. WOLFGANG GAST
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