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Hotel Berliner Bär mit Seeblick

Das Bushäuschen ist Treffpunkt der Dorfjugend, die Strandpromenaden bleiben autofrei, und am Grenzübergang leuchten die Schranken: Eine Fahrt über die vereiste Insel Usedom ist auch eine Fahrt an die Grenzen einer Kultur

Der Schnee ist geschmolzen. Schmale Reste sind an den Straßenrändern zu schmutzigem Grau zusammengekratzt, dazwischen liegt die aufgeweichte Pappe einiger Silvesterknaller. Die einzige Hauptstraße führt einmal über die Insel, einem schmalen Streifen Land am salzigen Rand der Ostsee.

Doch das Meer ist nicht zu sehen. Nur farblose, gleichförmige Häuser, die sich gegen die Landstraße pressen, auf den Dächern grellbunte Reklameschilder. Dann gibt es keine Häuser mehr und langgestreckte Felder weiten sich bis zum Horizont, an dem die Sonne langsam untergeht. Es ist vier Uhr nachmittags und im Radio kommt der polnische Sender MARYJA. Es läuft „From Sarah with Love“. Ausgerechnet.

Ein paar Umdrehungen weiter sendet Dänemark die Verkehrsnachrichten. Die schweren schwarzen Erdschollen sind aufgerissen und in der Kälte erstarrt. Das Feld wirkt in der Dämmerung wie ein Bild von Anselm Kiefer. Das ist sie also, die Naturbetrachtung des Stadtmenschen, nur mittelbar möglich.

So nah am Meer, beginnen wir, es zu suchen. Pfeilförmige Schilder verweisen auf die Seebäder. Erst Zinnowitz, später Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck. Immer gibt es eine Strandstraße, später eine Strandpromenade, auf der keine Autos fahren dürfen. „Strandpomelade“ sagt die Kleinste stolz, als wir ankommen. Verfroren rutschen wir über den vereisten Weg zum Strand. Hotels drohen uns mit vier Sternen. Wahrscheinlich kostet hier im Sommer jeder Schritt Geld. An den Strandübergängen überall die gleichen Toilettenhäuschen in kühlem Stahldesign mit Spitzdach.

Dafür keine „Hundetoiletten“, wie auf Rügen: Oben leeren Beutel rausholen, unten vollen Beutel einwerfen. An einer verschlossenen Strandbude, die mit Fischbrötchen und Eis wirbt, stehen ein paar Männer mit Bierdosen. Später kann man an einer Bushaltestelle die dunklen Umrisse einer Gruppe Jugendlicher ausmachen. Das ist der Treffpunkt der Dorfjugend von Heringsdorf.

Die einzige Straße führt weiter zur Inselhauptstadt „Usedom“. Auf dem Weg dorthin taucht in weißes Neonlicht getaucht das Zeichen des Berliner Bären auf, der mit aufgerissenem Maul im Profil die Krallen spreizt, wie vor Schreck ausgestopft. Das „Hotel Berliner Bär“ ist so eine Art Drive In für Heimatlose oder verzweifelt Sehnsüchtige.

Braune Vorhänge und Plastikblumen auf ebenfalls braunen Plastiktischdecken verbinden an diesem Ort des schlichten Geschmacks zeitlose Schrebergartennostalgie mit praktischem Gebrauchswert. Wir fahren an McDonald’s-Schildern vorbei, und später leuchten in der Einsamkeit eines schwarzen Feldes senkrecht rote Neonbuchstaben auf: „HOTEL“. Das Las Vegas von Usedom. Wir fahren weiter zum polnischen Grenzübergang, der für Busse, Taxis und Fußgänger erlaubt ist, aber nicht für Reisende im Auto.

Im Dunkeln sehen wir nur die schwach erleuchtete Schranke und einige Verbotsschilder. Aber es ist schön, am Rand eines Landes zu stehen, am Rand einer Kultur und Sprache. Und nur ein paar Schritte weiter ist alles anders. Als wir uns entfernen, wird Radio MARYJA langsam undeutlicher. Von hier sind es noch knapp vier Stunden bis Berlin.

MAXI SICKERT

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